bücher aus den charts : Wahnwitzige Geschichten, Rock-Geschichten, Gerichtsreportagen: Uli Hannemann, Frank Schäfer, Kirsten Küppers
Zu den hartnäckigsten Vorurteilen über den ehrenwerten Berufsstand des Journalisten gehört seine angebliche flächendeckende Trunksucht. Deswegen legt der Rezensent großen Wert auf die Feststellung, mit keinem der Autoren der in diesem Text besprochenen Bücher persönlich bekannt zu sein, geschweige denn schon mal gemeinsam gesoffen zu haben. Dass die Bücher allesamt von taz-Autoren und -Autorinnen geschrieben wurden, macht diese Vorbemerkung umso wichtiger. Keine Bange, liebe Leser und Leserinnen, hier geht wirklich alles mit rechten Dingen zu!
Beim einzigen der Autoren, den der Rezensent wenigstens schon mal gesehen hat, Uli Hannemann nämlich, gilt dies nur sehr eingeschränkt. „Hähnchen, leider“ versammelt Geschichten, die das Leben so niemals geschrieben haben kann. Der Taxifahrer und Berliner Lesebühnenstar überhöht in seinen Texten den Alltag, setzt Pointen und schafft so wahnwitzige Grüße aus der Hölle, die Leben heißt. Mal legt er sich mit einem Polizisten vor dem Roten Rathaus an, bis dieser ob seiner Frustration in Tränen ausbricht. „Im selben Moment – wohl kein Regisseur der Welt hätte das wunderbarer inszenieren können – fliegt das Rote Rathaus in die Luft und der alte Wachpolizist mit der Druckwelle an mir vorbei und in der falschen Richtung durch die Einbahnstraße.“ Oder er bringt mit seiner Freundin zwei flaumbärtige Interrailer zur Verzweiflung: „Wir waren wild entschlossen, ihnen die nachsichtige und liebevolle Erwachsenen-Unterstützung zukommen zu lassen, die man uns in ähnlicher Situation einst selbst gewährte.“ Uli Hannemanns Geschichten entfalten eine anarchische Wucht, die ihn zum Starkolumnisten prädestinieren. Chefredakteure dieser Republik, schaut auf diesen Mann!
Frank Schäfers „Abenteuer von dem Herrn Pünschel“ erschienen schon in der Samstagsbeilage der jungen Welt, „der ich’s über ein Jahr lang besorgte“, wie sich Schäfer in seiner Danksagung ausdrückt. Zwischen diesem Herrenwitz und den Autoren, denen er im Folgenden dankt, Pynchon, Mailer, Bukowski, Coupland etwa, klafft naturgemäß eine Lücke. In Frank Schäfers Geschichten läuft dem Ich-Erzähler ein ums andere Mal ein gewisser Thomas Pünschel über den Weg und erlebt mit ihm irgendwas – oder eben auch nicht. Schäfer liefert Milieustudien – Lebenskünstler unter sich, die „Reval ohne“ rauchen und sich auf Canned-Heat-Konzerten treffen.
Kein Wunder ist es da, dass Schäfers in „Was soll der Lärm?“ versammelte Rock-Kritiken sich meist Rockheroen der Siebziger- und Achtzigerjahre widmen. Beginnend mit der hämischen Widmung „für unseren Bundeskanzler und seine Scorpions“, wird schnell deutlich, dass Schäfer auch anders kann. Hier ist er höchst präzise, weshalb die Kritiken oft knuffiger sind als die Pünschel-Geschichten. Da sieht man einem mittelalten Herrn gern nach, dass er ein Strokes-Konzert erwartungsgemäß verreißt.
„Kleine Beile“ heißen die Gerichtsreportagen von Kirsten Küppers, ein spannendes Genre. Viel Protokoll, wenig Reflexion heißt das für Küppers, oder auch: „teilnehmende Beobachtung“. Doch wo den Reportagen die Metaebene fehlt, werden die menschlichen Abgründe umso plastischer. Allerdings fragt man sich: Warum kommt so selten ein Urteilsspruch in ihren Texten vor? Der einstige Staatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt entscheidet in seinem Nachwort im Zweifel für die Angeklagte – „falls die Zweifel vernünftig sind“. So soll es sein, und nun Kollegen, seid ihr dran! Ich trinke Weißbier! DAVID DENK
Uli Hannemann: „Hähnchen, leider“. Satyr-Verlag Berlin, 2005, 200 Seiten, 12,90 Euro Frank Schäfer: „Pünschel gibt Stoff“. MaroVerlag Augsburg, 2004, 192 Seiten, 12,90 Euro Frank Schäfer: „Was soll der Lärm?“ Verlag Andreas Reiffer, Meine, 2004, 96 Seiten, 8 EuroKirsten Küppers: „Kleine Beile“. Verbrecher Verlag Berlin, 2005, 128 Seiten, 13 Euro