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boulevard der bestenJürgenBaldiga

Foto: Salzgeber/Schwules Museum/Aaron Neubert

Wenn ich Glück habe, mach ich noch ein Jahr, und dann will ich wenigstens ein paar Kratzer an der Wand hinterlassen.“ Mit diesem Zitat schließt ein Porträt über den Fotografen und Lyriker Jürgen Baldiga. Das Stück ist in der taz vom 21. Februar 1991 erschienen, auf einer Sonderseite jener Zeit, die rubriziert war mit „Leben mit dem Virus – Aids in Berlin“.

Man findet diesen Text heute in der alten Archivdatenbank der taz, wo alle Zeitungsseiten bis 1999 gespeichert sind. Auf die Idee der Suche im alten taz-Archiv brachte mich der Dokumentarfilm „Baldiga – Entsichertes Herz“ (Kinostart 28. 11., Salzgeber), der die Lebensgeschichte Baldigas nun ins Kino bringt.

Jürgen Baldiga kam Ende der 70er in dieses sonderbare Gebilde Westberlin. Sein Geburtsort: Essen, unterm Elternhaus lag die Kohle. Der junge Jürgen wollte etwas anderes, er war etwas anderes: schwul. Er hat Träume, irgendwas mit Kunst und Fotografie. In dieser Zeit begann er intensiv Tagebuch zu führen – und zu vermerken, wenn die taz mit ihm zu tun haben wollte. Die taz der 80er war sehr interessiert an der schwulen Subkultur, nicht selten waren taz­le­r selber Teil dieser, genauso wie Baldiga.

Stöbert man etwas tiefer im Archiv, zeigt sich, was Baldiga wohl an der taz besonders interessierte: Sie druckte seine Fotos. Am 12. Juni 1985 bebilderte die Redaktion beispielsweise den Bericht zu einem Grundsicherungsprogramm der Grünen mit dem Baldiga-Foto einer Rentnerin, die in einem Mülleimer wühlt. Im Lauf der Zeit ändert sich die Bildauswahl der Redaktion, Jürgen wird selber Gegenstand der Berichterstattung, und eher dokumentarisch eingesetzte Baldiga-Fotos weichen dezidiert künstlerisch angelegten Arbeiten, vor allem seinen ausdrucksstarken Porträts.

Bis 1999 reichen die Spuren Baldigas im taz-Kosmos. Dann wird das alte Archiv ausgetauscht und die taz scheint ihn zu vergessen. Erst 2004 taucht sein Name wieder im – neuen – Archiv auf. Zehn Jahre zuvor, am 10. Dezember 1993, findet sich auf Seite 26 ein Baldiga-Selbstporträt – es bebildert seinen Nachruf, Überschrift: „Unter Engeln“. Er hatte dann doch mehr als nur ein paar Kratzer an der Wand hinterlassen. Manuel Schubert

Lesen Sie die Kritiken zu „Baldiga – Entsichertes Herz“ unter taz.de/!5993951 oder im taz Blog „filmanzeiger“: blogs.taz.de/filmanzeiger

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