boulevard der besten: Der große Unbekannte
Reinhard Wolff ist einer der dienstältesten Auslandskorrespondenten der taz. Der in Schweden ansässige Kollege schrieb seinen ersten Artikel bereits Mitte der 1980er Jahre. Nach Berlin kam er allerdings nie, auch telefonieren konnte man anfangs nicht mit ihm. „Wenn man sich mit ihm per Mail über ein Thema austauschen wollte, kroch ein paar Stunden später kommentarlos ein fertiger Text aus dem Fax“, erinnert sich Auslandsressortleiterin Barbara Oertel, bei der taz seit 1995. „Keiner schien ihn je gesehen zu haben. Irgendwann bekamen wir eine Telefonnummer und konnten auch mal persönlich Texte mit ihm absprechen.“ Ob ihn wirklich niemand persönlich kannte, lässt sich heute nicht mehr ganz sicher sagen. Aber ein bereits berenteter Kollege, zuvor Jahrzehnte als Redakteur tätig, gibt zu Protokoll, ihn vor einigen Jahren getroffen zu haben. „Ob ihn davor jemand leibhaftig kannte, wage ich zu bezweifeln. Aber ich weiß es nicht sicher“, schrieb er auf Nachfrage.
Auf Reinhards Berichterstattung hatte das alles übrigens keinen Einfluss. Die Texte kamen – sowohl die bestellten als auch die eigeninitiativ geschriebenen – regelmäßig und zuverlässig, irgendwann auch per E-Mail. Nur Reinhard selbst kam nie nach Berlin. Die Einladungen zu Korrespondent*innentreffen lehnte er regelmäßig ab, meist aus familiären Gründen. „Gibt es den Mann wirklich?“, wurde darum auch immer mal scherzhaft gefragt. Aber natürlich gab es ihn, man konnte ja mit ihm sprechen. Und arbeiten. Irgendwann beschloss man, der Sache auf den Grund zu gehen, und schickte eine kleine taz-Abordnung nach Schweden. Als Reinhard dort von den Spekulationen erfuhr, konnte er sehr darüber lachen. Der studierte Jurist hatte irgendwann einfach keine Freude mehr an seinem Job in Deutschland gehabt und war mit seiner Familie dauerhaft in das ursprünglich nur als Feriendomizil gedachte Haus in Südschweden gezogen. Das war’s dann schon mit Mysterium. Und Reinhard schrieb weiter. Bis letzten Herbst diese Mail mit dem Betreff „Dienstmeldung“ kam.„Einfach war die Entscheidung nicht, aber ich habe mich entschlossen einen Schlussstrich zu ziehen. Gerade auch schon 75 geworden, ist das ja wirklich ein überfälliger Schritt. Ich verabschiede mich also zum Jahresende.“ Die taz bedankt sich und wünscht einen erholsamen Ruhestand! Gaby Coldewey
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen