piwik no script img

Archiv-Artikel

bettina gaus über Fernsehen Wie Gefühlsduselei die TV-Studios heimsucht

Rührseligkeit als Betroffenheit getarnt: ModeratorInnen ist der Friedenskitsch gar nicht mehr auszutreiben

„Ich möchte gerne selber mehr – spüren“, sagte das junge Mädchen, das einem Reporter des ARD-Morgenmagazins ihre Gedanken zum Irakkrieg erzählte. Weit weg sei der Krieg, sie könne sich nicht wirklich in die Lage hineinversetzen, gestand die etwa 18-jährige Schülerin. Tief beschämt sah sie dabei aus, offenkundig erschrocken und verwirrt über den Abgrund von Gefühlskälte, den sie in sich selbst entdeckt zu haben meinte.

Nicht schämen! Bitte nicht schämen!! Doch nicht für einen der ganz wenigen ehrlichen Sätze in dem Brei aus verlogenem Geschwätz, das seit Tagen aus den Fernsehgeräten quillt und uns allmählich alle zu ersticken droht. Jemand gibt zu, sich Krieg nicht vorstellen zu können. Jemand gibt zu, dass ein tausende von Kilometern entfernter Waffengang den eigenen Gefühlshaushalt nicht vollständig durcheinander bringt. Wunderbar! Mehr davon! Viel mehr! Was bekommen wir stattdessen? Telegene Rührseligkeit, die sich als ehrliche Betroffenheit tarnt.

Ein besonders beliebtes Thema: die drohende Traumatisierung von Kindern durch den Krieg. Die Rede ist nicht von Traumata, die dadurch entstehen, dass man sieht, wie der eigenen Mutter der Kopf von einer Bombe abgerissen wird. Sondern von der möglichen Verstörung, die beim Konsum von Fernsehnachrichten entsteht. Können wir nicht endlich einmal damit aufhören, uns selber so entsetzlich wichtig zu nehmen? Die Opfer dieses Krieges sind nicht wir! Wären alle Moderatorinnen und Moderatoren gezwungen, diesen Satz vor ihren jeweiligen Sendungen zehnmal laut vor sich hin zu sprechen – der Nachrichtenwert würde sprunghaft steigen, der sentimentale Faktor dramatisch sinken.

Vielleicht bliebe uns dann sogar die regelmäßige Frage nach dem persönlichen Wohlbefinden der Korrespondenten und vor allem der Korrespondentinnen im Kriegsgebiet erspart. Die wehren sich übrigens allesamt tapfer gegen derartige Gefühlsduselei und verweisen stets darauf, dass es anderen erheblich schlechter geht als ihnen. Es nützt ihnen nichts. Antonia Rados gehört zu den besten Kriegsberichterstatterinnen der Welt. Aber wenn RTL-Moderator Peter Kloeppel beweisen will, dass er zur Empathie fähig ist, dann ist sogar sie dieser Vereinnahmung wehrlos ausgeliefert.

Wer die Verlogenheit der zur Schau gestellten Erschütterung bezweifelt, möge auf die Überleitungen von einem Thema zum anderen achten. Sie sind wegen des jeweiligen plötzlichen Stimmungsumschwungs im Studio überaus entlarvend, und sie gehen fast immer schief. Auf meiner persönlichen Hitliste nimmt seit gestern ein Satz den ersten Platz ein, der im RTL-Frühstücksfernsehen fiel: „Jetzt gehen wir weg vom Krieg und kommen zu den Prominenten.“ Au ja.

Noch besser sind natürlich Prominente im Krieg. Weswegen nun auch alle möglichen Leute zu ihrer Ansicht darüber befragt werden. Vanessa von den No Angels, beispielsweise. Der Angriff auf den Irak ist, wie das Publikum vom Sprecher aus dem Off erfuhr, der erste Krieg, den sie „bewusst“ erlebt. Das mag sogar stimmen, aber dennoch möchte man der 24-jährigen Sängerin dringend zu einer Klage gegen diese ehrverletzende Behauptung raten. Sie besagt nämlich, dass sich Vanessa als 20-Jährige während des Kosovokrieges und als 22-Jährige während des Afghanistanfeldzuges im Zustand tiefer Bewusstlosigkeit befand. Oder? Ach nein, vermutlich doch nicht. Das waren schließlich keine Kriege, sondern humanitäre Interventionen. Die der Frauenbefreiung und anderen erfreulichen Zielen dienten.

Die Haltung der Bundesregierung zum Krieg hat sich geändert, der Kitsch ist geblieben. Gefühle, die im Zusammenhang mit politischen Themen entstehen, lassen sich erfahrungsgemäß bedarfsgerecht steuern. Das ist praktisch. Sollte das politische Berlin den Krieg nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein (oder nach dem Sturz von Bundeskanzler Gerhard Schröder) irgendwann nicht mehr ganz falsch finden, dann ist der Boden für einen Stimmungsumschwung bereitet.

Was bedeutet es vor diesem Hintergrund schon, dass wir wieder einmal so gut wie nichts über das reale Geschehen wissen? Die scheinbare Omnipräsenz der Fernsehsender vermittelt uns die Illusion, live beim Krieg dabei zu sein. „Es wird unglaublich kompliziert, zu beurteilen: Was stimmt, was stimmt nicht?“, sagte der erfahrene Korrespondent Ulrich Tilgner am Dienstag im ZDF. Die US-Truppen stünden offenbar etwa 100 Kilometer von Bagdad entfernt, „aber wir hier können das gar nicht beurteilen“.

Solche eindringlichen Statements versenden sich – während sich zugleich die journalistischen Mahnungen mehren, man möge jeder Information misstrauen. Wohl wahr. Aber diese Hinweise hinterlassen ein ungutes Gefühl. Es verstärkt sich der Eindruck, dass diejenigen, die sie liefern, sich damit schlicht den Grundaufgaben ihres Berufes zu entziehen versuchen: nämlich Informationen einzuordnen. Seit Tagen erhalten wir Journalismus „ohne Gewähr“. Aber dafür mit viel Gefühl.

fragen zu fernsehen: kolumne@taz.de