: betr.: Stadtmitte vom 25.Mai
betr.: Stadtmitte vom 25. Mai
Liebe Frau Laurien, Politikverdrossenheit ist keine Krankheit, sie ist Reaktion auf das Schauspiel, das die Politdarsteller in den Parlamenten uns seit Jahren bieten: den Rüssel tief im Trog der Macht und des Geldes, Augen starr auf Daimler und Konsorten gerichtet, ab und an die Hackordnung ausbeißend und dabei den Arsch unverwandt dem Volke zugekehrt. Gewählt als Volksvertreter, sind sie permanent im Verzug, ihrem Eid gemäß zu handeln: Schaden vom Volke abzuwenden und seinen Nutzen zu mehren. Meineidige, die dazu beitragen, daß die Arbeitslosigkeit und damit die Verelendung zunimmt, die durch unsoziale Wohnungspolitik massenweise Obdachlosigkeit herbeiführen, die obszönen Mietwucher gutheißen, der kleine Gewerbetreibende in Not und Erwerbslosigkeit treibt, die Mord und Totschlag an ausländischen Gästen halbherzig und bisweilen zynisch verfolgen, gehören in den Knast und nicht in die Parlamente. Politverdrossenheit, die eine große, leider unorganisierte neue APO (am letzten Sonntag ca. 40 Prozent der Berliner) hervorbringt, hat ihre Ursache auch in der Tatsache, daß Menschen, die lebenslang hart arbeiten mußten, die ein Land, das durch Taten deutscher Politiker und nicht durch Wunsch und Wille des Volkes in Schutt und Asche gelegt wurde, wieder aufbauten, heute eine Anhebung ihrer kärglichen Rente (bei zu vielen unter 600 Mark) um 2,7 Prozent erleiden müssen. Sie können erleben, wie die Parteien, allen voran die C(lique) D(eutscher) U(nchristen), gierig bemüht sind, die Taschen ihrer Abgeordneten zu füllen. [...] Solange Abgeordnete nicht gezwungen werden, wahlweise in einer Selbsthilfegruppe oder Arbeitslosengruppe, in Flüchtlings-, Alten- oder Obdachlosenheimen usw. mitzuarbeiten, so lange werde ich nicht mehr wählen gehen. Ich kann mit meiner Stimme keine Regierungspartei mehr legitimieren, in ihrer menschenverachtenden Politik fortzufahren. Hans Gräfer, Frührentner
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