bertie, bush, blair, berlusconi und bosco, der clown von RALF SOTSCHECK :
Der Mann, der an der Tür geklingelt hat, trägt trotz des sommerlichen Wetters einen dunklen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte. Ich spreche kurz mit ihm, dann geht er wieder. „Ein Zeuge Jehovas“, vermutet Stefan, ein Besucher aus Hannover. „Aber wo hatte er den Wachtturm?“ Das war kein Vertreter in Sachen Gottes, entgegne ich, sondern unser Premierminister Bertie Ahern. „Haha, sehr witzig“, meint Stefan, „und wer war das wirklich?“
In Irland gibt es bei Parlamentswahlen kein Listensystem, auch die Minister kommen nur durch Direktmandate ins Parlament. Deshalb müssen sie regelmäßig Klinken putzen und sich um die persönlichen Belange der Wählerschaft kümmern, zum Beispiel um die Schlaglöcher vor der Haustür oder die Reparatur der Heizung im Sozialbauhaus. Meistens wird das Problem zügig aus der Welt geschafft, und der potenzielle Wähler erhält einen Brief vom Politiker, in dem er daran erinnert wird, wem er die glatte Straße oder die warme Wohnung zu verdanken habe. So macht man sich bei der Wählerschaft beliebt. Und wir wohnen nun mal im Dubliner Wahlkreis des Premierministers.
Stefan glaubt kein Wort. „Der Premierminister würde doch niemals ohne Leibwächter herumlaufen“, meint er. Wer aber sollte ihm denn etwas tun? Sämtliche irischen Parteien, bis auf die Grünen, sind entweder Abspaltungen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) oder haben mit einer ihrer Abspaltungen fusioniert, wie die Labour Party. Politisch unterscheiden sie sich nur geringfügig voneinander und koalieren kreuz und quer. Berties Partei – ich als Wahlkreisbewohner darf ihn mit dem Vornamen anreden – ist Fianna Fáil. Die „Soldaten des Schicksals“, wie sie auf Deutsch heißen, haben Irland seit 70 Jahren mit kurzen Unterbrechungen wie ein Familienunternehmen regiert. Und dem Paten tut man nichts. Abends ist er im Pub. „Da steht ja der Premierminister am Tresen und trinkt Bier“, höhnt Stefan. „Hallo, Bertie“, begrüße ich ihn. „Ah, Ralf“, antwortet er, „mein Wahlkreisbewohner.“ Er traut sich nicht, mich als Wähler zu bezeichnen, weil er weiß, dass ich ihn nicht wähle. „Das ist euer Partytrick, mit dem ihr naive Touristen hereinlegt“, argwöhnt Stefan.
Später kommt Antoinette hinzu, meine Schwägerin. „Ich war neulich im Eckladen einkaufen“, erzählt sie, „als Berties Sekretär hereinkam. Ich sei doch Friseuse, meinte er, und Bertie wollte in einer Stunde nach Rom zum Papst. Da müsste er ordentlich aussehen. Ob ich ihm schnell die Haare schneiden und ihn rasieren könnte, fragte er.“ Antoinette holte Schere, Kamm und Rasiermesser und machte sich über den Premierminister her. „Du meinst“, ruft Stefan, „er hat sich von einer wildfremden Frau das Rasiermesser an den Hals setzen lassen? Ja, haltet ihr mich denn für blöd?“
Hat er wenigstens anständig bezahlt, will ich wissen. „Ich habe kein Geld genommen“, sagt Antoinette. „Ich sagte ihm, er schulde mir dafür einen Gefallen. Und ich durfte mir die Fotos an der Wand ansehen. Bertie und Bush, Bertie und Blair, Bertie und Berlusconi, Bertie und Bosco.“ Bosco, der Clown? „Das habe ich wegen der Alliteration erfunden“, meinte Antoinette. Seither glaubt Stefan mir nichts mehr.