berlusconis italien: Zweite Republik, erste Regierung
Silvio Berlusconi schaute freudlos drein, als er am Samstagabend aus den Gemächern von Präsident Carlo Azeglio Ciampis trat, den Auftrag zur Regierungsbildung in der Tasche. War es der Frust über das Gezerre mit den Koalitionspartnern, das mächtig an die byzantinischen Rituale der „Ersten Republik“ erinnerte? Dann muss der neue Premierminister sich nicht wirklich sorgen.
Kommentarvon MICHAEL BRAUN
Ihm kann nur recht sein, wenn die Kommentatoren den Knatsch um Posten und Pöstchen in „italienische Verhältnisse“ umdeuten – und sich beruhigt zurücklehnen. Denn was da gerade mit den Riten der Ersten aus der Taufe gehoben wird, ist die Zweite Republik. Italiens Regierung Nummer 59 ist zugleich die Nummer 1 einer neuen Ära.
Die Riege, die heute ihren Eid auf die Verfassung der Republik von 1946 leistet, hat mit ebendieser Verfassung nicht viel am Hut. Gianfranco Fini, stellvertretender Ministerpräsident und Vorsitzender der postfaschistischen Alleanza Nazionale (AN), hat zwar offiziell der Mussolini-Nostalgie abgeschworen. Gleichzeitig aber arbeitet seine Partei zielstrebig daran, per Geschichtsrevisionismus den Faschismus kulturell zu rehabilitieren – saßen die eigentlichen Verbrecher und Mordbuben nicht im „kommunistischen“ Widerstand? Wo immer AN auf Provinz- und Regionsebene regiert, verbreiten ihre Kulturpolitiker diese Nachricht.
Ähnlich verfassungtreu gebärdet sich Umberto Bossis Lega Nord. Gestern noch predigte sie Sezession. Heute stellt die Partei, deren Chef angesichts von Ermittlungen gegen die Lega bemerkte, eine Gewehrkugel koste „gerade mal 300 Lire“, den Justizminister. Ihr Sezessionsprojekt ist Berlusconis Sache nicht – der Lega-Wunsch, mit der Justiz aufzuräumen, gefällt dem neuen Herrn dagegen mächtig. Dafür gesteht er Bossi gern den Posten des „Ministers für föderale Angelegenheiten“ zu, auf dem der dann über die Befreiung des Nordens von süditalienischen Schmarotzern genauso wie von Brüssler „Freimaurern und Kommunisten“ nachdenken darf.
Um die eigentliche Wende aber wird sich Berlusconi selbst kümmern. Alle Schlüsselressorts hat er seiner Partei vorbehalten: AN und die Lega dürfen die Erste Republik ideologisch sturmreif schießen, den Bau der Zweiten erledigt Forza Italia. Wenn es nach Berlusconi geht, dann ist Italien in fünf Jahren nicht wiederzuerkennen: Dann wird die harte Hand eines Präsidialregimes politisch für Zucht und Ordnung sorgen, während die Unternehmen sich im neoliberalen Reich sonnen dürfen.
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