piwik no script img

berlinmusikWirbel im All

Gasriese. Bei dem Wort denkt man vermutlich erst einmal an ein Unternehmen wie Gazprom. Gemeint ist aber ein Himmelskörper. Die Gasplaneten in unserem Sonnensystem sind Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun, davon zählen die ersten zwei ihrer Ausmaße wegen zu den Gasriesen. Komische Gebilde, Planeten ohne feste Oberfläche, aber eben gigantisch. Beliebte Objekte für Weltraumfantasien aller Arten.

Auch der Berliner Krautrock- und Elektronikpionier Conrad Schnitzler konnte sich für diese Dinger aus Wasserstoff und Helium begeistern. So sehr, dass er ihnen ein komplettes Album widmete. „Conditions of the Gas Giant“ nannte er sein 1987 entstandenes elektronisches Werk, das er zunächst dem befreundeten US-amerikanischen Comiczeichner Matt Howarth, Schöpfer der Reihe „Those Annoying Post Bros“, kredenzte. Der schickte die Aufnahmen weiter an das Label Bird O’ Pray, auf dem eigentlich ganz andere Musik herausgebracht wurde, unter anderem die ersten Alben der Alternativrocker Ween.

Den Machern von Bird O’ Pray gefielen Schnitzlers planetarische Etüden aber anscheinend so gut, dass sie 1988 eine Kassettenedition davon veröffentlichten. Eine so kleine allerdings, dass das Album einem größeren Publikum vorenthalten blieb. Eine in den neunziger Jahren geplante CD-Ausgabe kam nicht zustande. Die gut 30 Jahre Wartezeit haben die Stücke dafür bestens überstanden. Denn Schnitzler, dessen berüchtigte Produktivität bis zu seinem Tod 2011 ungebremst blieb und der seine elektronischen Gerätschaften sehr unorthodox und wie ein neugieriges Kind immer neu ausprobierte, lieferte hier eine Art Suite aus zwölf stark verdichteten – passt ja irgendwie zum planetaren Gas – Miniaturen, die nicht ätherisch wabern, sondern sehr energisch rhythmisch pulsieren. Statt segelnder Synthesizermelodien spielte er wild kreiselnde Patterns dazu. Kosmische Entspannungsmusik ist das eher nicht.

Der Titel und das Konzept, wenn man so will, für das Album, kamen übrigens erst hinzu, als die Musik längst da war. Keine Programmmusik mithin, sondern eine stark suggestive Angelegenheit. Man darf gespannt sein, was noch so aus Schnitzlers Nachlass folgt. Soll auch haufenweise Unveröffentlichtes drin herumliegen.

Tim Caspar Boehme

Conrad Schnitzler: „Conditions of the Gas Giant“ (Bureau B/Indigo)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen