berlinmusik: Weill, noch schlanker
Am Anfang war „Mahagonny“. Nicht die abendfüllende Oper, die Bertolt Brecht und Kurt Weill unter dem Namen „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ auf die Bühne brachten. Das war 1930. Drei Jahre zuvor hatte das Berliner Duo Brecht/Weill mit dem Songspiel „Mahagonny“ einen kleinen Vorgeschmack auf das geboten, was es 1928 mit seinem Überraschungshit, der „Dreigroschenoper“, an unerwarteten Innovationen bieten sollte: Musiktheater, das klug unterhielt und „leichte“ Musik bewusst als der Oper ebenbürtige Tonkunst einsetzte.
Selbstverständlich schien dieser Angriff auf die Hochkultur zunächst nicht. Weill war vorher als avantgardistischer Komponist aufgefallen. Spuren davon finden sich noch in dem knapp halbstündigen „Mahagonny“ von 1927. So beginnt die erste Nummer, bei allen tanzgeeigneten Jazzrhythmen, noch mit munteren Dissonanzen. Auf die verzichtet der folgende „Alabama-Song“ dann fast vollständig, weshalb er sich so dankbar für Coverversionen im Pop anbot (Doors, David Bowie, Scorpions) eignet.
Das auf moderne Musik geeichte Ensemble Modern unter der Leitung des Komponisten, Chansonniers und Dirigenten HK Gruber bietet das schlanke Werk, eine gesungene Kapitalismuskritik im Miniaturformat, wenn man so will, mit angemessen schlankem Klang, was sich auch den Vokalisten verdankt. Als Frauenstimmen sind die Weill-Autorität Ute Gfrerer und die Schauspielerin und Sängerin Winnie Böwe vertreten, die männlichen Parts übernimmt das Ensemble Amarcord.
Wie unterschiedlich Weill, von dem unter anderem auch der „September Song“, einer der Jazzstandards schlechthin, stammt, komponieren konnte, dokumentiert die ergänzende Aufnahme der eher raren „Chansons des Quais“, 1934 im französischen Exil entstanden. Ziemlich klassische Chansons, denen man hier und da vielleicht etwas anmerkt, dass Weill von der Textvorlage nicht sonderlich begeistert war. Die stammte in dem Fall vom Schriftsteller Jacques Deval.
Einen dem Schlankheitsgebot von „Mahagonny“ würdigen Abschluss wählt das Ensemble Modern mit der „Kleinen Dreigroschenmusik“, einer Instrumentalsuite aus dem Theaterstück. Souverän eckig gespielt.
Tim Caspar Boehme
Kurt Weill: „Mahagonny. Ein Songspiel“; Ensemble Modern, HK Gruber (Ensemble Modern Medien/Harmonia Mundi)
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