berlinmusik: Jetzt gespannt
Das muss man sich erst einmal trauen. Gleich das erste Stück beginnt mit einem hohen Fiepen, unter dem ein rhythmisches Stolpern pulst, deren Kombination wacker in Richtung maximale Nervigkeit steuert. „Present Tense“ heißt das Album des Berliner Duos Glass Knot, und das soll auch in der Musik mit jeder Frequenz anschaulich gemacht werden: Die Zeiten sind angespannt.
Es ist ja eine alte Frage, ob missliche Lagen ästhetisch am besten mit misstönenden Klängen bedacht werden sollten, hier ist die Frage aber nicht so entscheidend. Denn wenn man sich ein wenig in Geduld übt, schraubt sich das angespannte Stück nach seinem Anfang völlig unerwartet weiter, mutiert zu einer ritualartig rumpelnden Beatmaschine, mit Groove, sorgsam geschichtetem Aufbau und voranrollender Wut im Bauch.
Glass Knot sind die Produzenten Lasse Bjørck Volkmann alias Metalized Man, und Nicolai Vesterkær Krog alias Misantrop, Letzterer betreibt zugleich das Label Foul-Up, auf dem ihr Debütalbum erschienen ist. Spannung ist das Thema dieser sieben unbetitelten Nummern nicht allein im übergeordneten Sinne, auch musikalisch im Nebeneinander von gegensätzlichen Stimmungen präsentiert sich diese Cassette als bipolares Wesen, das träge Industriebrachen-Ambientflächen genauso gern beherbergt wie polyrhythmischen Tribalismus. Nicht, dass es diese Neigung, das Kaputte in raffiniert grober Gestalt zum Tanzen zu bringen, nicht auch anderweitig gäbe. Doch Glass Knot bekommen das alles einfach sehr gut hin. Und ohne zu nerven.
Filigraner geht der ebenfalls in Berlin lebende Thomas Ankersmit auf seiner „Homage to Dick Raaijmakers“ vor. Der Niederländer Raaijmakers wird von seinem Landsmann Ankersmit mit ähnlichen analogen Gerätschaften geehrt, mit denen Raaijmakers sich in den sechziger Jahren als Pionier der elektronischen Musik betätigte. Ankersmit baut ein sich permanent neu konfigurierendes Geflecht aus Synthesizerklängen, die man kaum als Töne wahrnehmen kann, von denen man erst recht kaum weiß, wo genau im Raum sie eigentlich gerade herumflirren – oder ob sie womöglich bloß im eigenen Kopf sirren. Hypnose für die Ohren. Tim Caspar Boehme
Glass Knot: „Present Tense“ (Foul-Up)
Thomas Ankersmit: „Homage to Dick Raaijmakers“ (Shelter Press)
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