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berliner szenenDie Supermarkt-pendlerin

Nach der Arbeit gehe ich noch schnell in den Aldi in der Börnestraße, um eine Salatgurke, Toastbrot, Zarte Scheiben und Butter zu kaufen. Das Notfallprogramm für den Abendbrottisch. Vor dem Kühlregal, in dem die Butter ausliegt, steht eine Frau. Ich will mich nicht vor sie drängen, also beschließe ich kurz zu warten, bis der Platz an der Butter wieder frei ist. Aber es dauert. Es dauert ziemlich lange. Ich sehe mir die Frau an. Sie trägt Uggboots, ein Businesskostüm und ein Batiktuch in den Haaren. Sie ist hübsch. Aber irgendetwas passt da nicht. Ich trete einen Schritt zur Seite, um einen anderen Winkel und Blick auf sie zu haben. Oha, denke ich. Sie hält ein Pendel in der Hand. Benutzt man Pendel nicht, um damit Wasseradern aufzuspüren? Ist sie hier auf der Suche nach einer Wasserader? Ich gebe mir einen Ruck und tippe ihr vorsichtig auf die Schulter. Sie dreht sich zu mir. In ihrem blonden Haar sind ein paar silbergraue Strähnen. Sie ist wirklich hübsch. „Was machen Sie denn da?“, frage ich. „Ich pendle die Butter aus.“ Sie sagt das, als ob es das Normalste auf der Welt ist. Vielleicht ist es das auch, und es ist bisher nur an mir vorbeigegangen. „Und warum?“, frage ich. „Wegen der Magnetströmungen und der Kraftfelder.“ „Ah, na klar“, sage ich, obwohl ich keine Ahnung habe, was das bedeutet. „Scheint alles tipptopp in Ordnung zu sein.“ „Da bin ich aber froh“, sage ich. „Butter fehlt mir nämlich noch auf meiner Einkaufsliste.“ „Bitte sehr.“ Sie reicht mir ein Stück. „Danke“, sage ich und nehme es mit beiden Händen wie einen kostbaren Goldbarren entgegen. Dann gehe ich zur Kasse. Die Hüterin der Butter, denke ich. Das hier ist nur der Aldi in der Börnestraße in Weißensee, aber es fühlt sich an, als wäre ich in einen Fantasyfilm geraten und müsste nun einen Teil des Elfenschatzes an einen sicheren Ort bringen.

Daniel Klaus

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