piwik no script img

berliner szenenKann jadannnicht

Um die Ecke bei mir in Mitte stehe ich in der Postfiliale. Die Schlange ist lang und ich überlege, ob ich die Leute hinter den Schaltern verfluchen oder bewundern soll.

Verfluchen, weil sie sich so elendig viel Zeit nehmen, dass die Schlange hinter mir immer länger wird. Da gibt es den hippen Agenturtypen, der schnell in der Pause noch ein Paket verschicken will. Er trampelt von links nach rechts. Telefoniert, gestresst und viel zu laut. Man hört natürlich immer nur ihn genervt in den Kopfhörer sprechen – was nicht wirklich zur Entspannung der anderen Wartenden beiträgt. Dann ist da die junge Mutter mit ihrem schreienden Kind. Klar, so ein Kind schreit eben, nur frage ich mich – woher kommt diese Stimmgewalt? Eine Omi mit Rollator. Die Frau mit dem Kind deutet der älteren Dame, dass sie gern vorgehen könne. Sie winkt lächelnd und mitfühlend ab…

Bewundern, weil die Post-Angestellten so unfassbar stoisch und in einer unglaublichen Ruhe ihren Job machen, meist sogar irgendwie freundlich bleiben und das genervte Räuspern, Kindergeschrei, das Telefonieren …, alles weg-ignorieren.

Nach einer gefühlten Ewigkeit bin ich dran. Ich versuche,freundlich zu sein, ruhig zu bleiben. Hilft ja nichts.

„Päckchen oder Paket?“, fragt die blonde Dame hinter dem Tresen. „Oh, Paket, denk ich, ist besser …“ sage ich. „Was is’n drin?“ Fragt die Dame. „Kunst“, antworte ich. „Kunst? Von wem denn?“.
„Von mir.“ Antworte ich. „Wat? Dann isses ja keine Kunst, junger Mann!“ Ich bin etwas empört, versuche aber, ruhig zu bleiben, und erwidere betont freundlich: „Äh, wie meinen Sie das jetzt? Sie kennen mich doch gar nicht.“

Die Dame lacht und antwortet „Nee, aber Sie leben doch noch! Kann ja dann nicht!“. „Ach so!“, sag ich und bezahle. Wir lachen jetzt beide.

 Christian Rothenhagen

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen