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berliner szenenSie möchte ihn trotzdem zurück

Glauben Sie an die Liebe?“, fragt mich die Frau, die ich gar nicht kenne. Wir haben eine Stunde lang im Wartezimmer eines medizinischen Zentrums gehockt, jetzt sind wir vorgerückt in den Bereich der Ärztin, die uns demnächst aufrufen soll. „Das ist eine ganz schön große Frage“, antworte ich zögerlich. Ich befürchte, dass sie mich in ein religiöses Gespräch verwickeln will. Wenn ich mich mal höflich auf sowas eingelassen habe, endete es immer mit einem Traktat samt Spendenformular.

Ich irre mich. Eigentlich will die Frau weniger wissen, ob ich an die Liebe glaube, sie will mir vor allem von ihrem Kummer erzählen. Ihr Mann hat sie betrogen. Wie ein Sommerguss prasselt ihre Geschichte auf mich ein. Acht Jahre war er ein guter Ehemann und Vater, dann hat er sich heimlich mit einer anderen getroffen. „Eine Frau merkt doch so was, stimmt’s?“ Das Schlimmste sei, dass er es leugnet. Ausgezogen ist er trotzdem. Ihre Mutter sagt, sie solle einsehen, dass er kein Interesse mehr an ihr hat und auch nur halbherzig an den Kindern. Sie möchte ihn trotzdem am liebsten zurückhaben, immer noch, nach drei Jahren. Ob ich das verstehen kann?

Mittlerweile hat sich die Frau auf den Boden gesetzt, jetzt wirkt sie noch zierlicher und kindlicher. Ob ich auch schon mal einen Mann zurückhaben wollte, flüstert sie, und während ich noch meine Antwort sortiere, wird eine alte Frau im Rollstuhl in unsere Nähe geschoben.

Mit ungefähr 80 Jahren Lebenserfahrung mischt sie sich ein, als hätte sie auf diesen Einsatz gewartet: „Vergiss ihn, wenn’s auch schwerfällt. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Der kommt sowieso eines Tages angekrochen, so hübsch, wie du bist. Und ich garantiere dir: Du wirst ihn armselig finden. Halte durch, es gibt noch andere Männer.“ „Der Nächste, bitte!“

Claudia Ingenhoven

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