berliner szenen: Pommes-Bude statt Weinladen
Ich mag die Idee hinter Second-Hand-Klamotten, daher stelle ich auf Vinted regelmäßig eigene Kleidung online, die ich nicht mehr trage. Da es für die Umwelt nicht nur besser ist, gebrauchte Klamotten zu kaufen, sondern auch den Versandweg zu sparen, treffe ich mich meist mit Leuten aus Berlin zur Übergabe. So auch letzte Woche, nachdem ich auf Vinted eine Tasche verkauft hatte. Wie sich herausstellte, wohnte die Käuferin sogar in meinem Kiez. Ich schlug einen Weinladen als Treffpunkt vor, doch als ich zur vereinbarten Zeit, um 18 Uhr, alleine vor dem Laden stand, schaute ich in die Vinted-App und sah, dass ich eine Nachricht bekommen hatte: „Ich stehe gegenüber vor der Pommes-Bude, sorry, meine Kinder hatten so Hunger.“ Also lief ich über die Straße zur Pommes-Bude, sah in der Schlange eine zierliche Frau, die immer wieder zu einem Fahrrad mit Anhänger schaute.
Ich konnte die Kinder nicht sehen, aber ich hörte sie schreien. Ich lief zu der Frau, die die Käuferin sein musste, und tippte sie von hinten an. Sie schreckte auf, und all ihr Kleingeld, das sie eben noch in ihrer Hand hielt, verteilte sich auf dem Asphalt vor der Pommes-Bude. Ich bückte mich mit ihr und wir begannen, die Münzen vom Boden aufzukratzen.
„Sorry“, sagte ich, „ich wollte dich nicht erschrecken.“ Ich schaute der Frau in die Augen, sie wirkte sehr fertig. Der Frau schien die Situation unangenehm zu sein, sie sagte: „Das ist nicht immer so. Aber eigentlich essen sie genau um diese Uhrzeit zu Abend.“ Ich antwortete schmunzelnd, dass ich das total verstehen könne; wenn ich Hunger habe, werde ich auch unausstehlich. Sie gab mir dann das Geld, ich ihr die Tasche, wir verabschiedeten uns. Am nächsten Tag sah ich sie zufällig wieder. Ihre Kinder saßen ganz friedlich im Anhänger, nur ihre Augenringe waren noch da.
Eva Müller-Foell
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