piwik no script img

berliner szenenSchwer verdauliche Kost

Sag’ma, ist ditt jut verträglich?“ Ich habe die alte Frau gar nicht kommen sehen, die sich im vollen Supermarkt neugierig über meinen Einkaufskorb beugt. Ich blicke kurz zu ihr, dann auf das Brot im Korb und sage: „Ich habe keine Ahnung – ich kaufe hier nicht für mich selbst ein.“ Sie seufzt. Und erklärt, sie hätte auch gerne jemanden, der für sie einkaufen gehe: „Is beschwerlich jeworden, weeßte?“ Allein ein Brot zu finden, das sie vertrage, sei eine Herausforderung: „Mir schlägt allet uff ’n Magen, wa? Ich krieg jarnix mehr runter, aus Angst, dass et glei’ wieda rauskommt.“ Zehn Kilogramm habe sie innerhalb nur weniger Wochen abgenommen, erzählt sie,und zieht an dem Stoff ihrer schlabbrig sitzenden Hose und ihres weiten Pullovers unter dem aufgeknöpften Wintermantel: „Kurz im Krankenhaus, nix runterjekriegt von dem widerwärt’jen Zeuch, und gleech is allet paar Nummern zu groß.“

Ich runzle die Stirn: „Bei mir sind Sie da aber leider an die Falsche geraten. Ich kenne mich mit Schonkost nicht aus. Ich weiß nur, dass Hühnerbrühe kräftigend ist, wenn man schwächelt.“ Sie sieht mich groß an: „Echtma?“ Ich nicke. Sie fragt: „Und wie mach ick die?“ Ich zucke mit den Achseln: „Ich habe sie immer gekocht bekommen.“ Sie sieht mich groß an: „Ja, und wie?“ Ich zucke wiederholt mit den Achseln: „Ich schätze mal mit einfacher Brühe und Hühnchen?“ Sie seufzt wieder: „Jibt keene richt’je Brühe mehr. Überall Zusatzjedöns drin, dat ick nich vertrag.“ Sie lächelt schief: „Dattma jemand für mich kocht, davon kann ick nur träumen. Ick hab doch keenen mehr. Die Nachbarn sind ooch wech. Alle wech jentrifiziert. Und die Jung­schen kennick nich. Weeß nur, dass die ihr Essen feddich bis an’t Sofa jeliefert bekommen.“ Sie schüttelt den Kopf: „Wahrscheinlich jehn die jar nich mehr in ’n Supermarkt.“ Eva-Lena Lörzer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen