berliner szenen: Keine Herren weit und breit
Meine Tochter und ich treffen uns seit ihrem Auszug jeden Sonntag. Manchmal trinken wir nur Tee und erzählen uns, wie die Woche verlaufen ist. Ich beschwere mich viel in letzter Zeit, weil nichts so läuft, wie ich es gern möchte, und mir langweilig ist. „Du bist einfach zu ungeduldig, Mama“, findet H. Und ich denke, dass einen wohl niemand so gut kennt wie die eigenen Kinder.
Letzten Sonntag treffen wir uns am Flohmarkt vor dem Schöneberger Rathaus. Mich interessieren die Geschichten um uns herum. Drei ältere Männer probieren Motorradlederjacken an und lachen sich kaputt. Ein Paar handelt so stark, dass der Verkäufer sauer wird. Die Freiheitsglocke im Rathaus schlägt an und ich denke an den Freiheitsschwur, den man jetzt um zwölf bei Deutschlandfunk Kultur hört. H. setzt sich in die Sonne auf die Stufen und ich gehe ins Rathaus, um nach einer Toilette zu suchen.
Innen ist eine Baustelle. Die Eingangshalle liegt einsam da, als eine kleine Frau mit wilden, grauen Haaren schon von Weitem ruft: „Wo ist hier bloß die Toilette?“ Ich rufe: „Hier ist nur die für Herren.“ Wir sehen uns um. Keine Herren weit und breit. „Dann gehen wir eben drauf, oder?“ Die alte Frau kichert.
Drinnen ist eine von zwei Kabinen besetzt, was uns beiden nicht ganz geheuer ist. „Bitte“, sagt die Frau: „Ich warte auf Sie. Warten Sie dann auch?“ „Auf jeden Fall“, versichere ich, beeile mich und die Frau geht nach mir. „Sind Sie noch da?“, ruft sie und ich antworte: „Ich bin da.“ Als sie herauskommt, wird nebenan gespült. Wir waschen uns schnell die Hände und laufen giggelnd hinaus. „Danke“, sagt sie. „Allein wäre ich da nie reingegangen.“
Draußen vor der Tür lächeln wir uns noch mal verschwörerisch zu und H. fragt: „Na, Mama, hast du wieder was erlebt?“ Und ich freue mich. Isobel Markus
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