berliner szenen: Stammgast im Krankenhaus
Erst als ich zum Fenster gehe, um mir den fallenden Schnee anzuschauen, fängt meine Zimmernachbarin an, mit mir zu reden. Wir sind im Haus 1 des Martin-Luther-Krankenhauses, in der dritten Etage. Meine Nachbarin, Frau F., ist 91, erzählt sie. Sie wohne alleine und mache sonst alles auch alleine, betont sie.
In der Sparkasse sei sie über ihren Gehstock gestürzt. Ihre rechte Schulter ist kaputt. Der andere Arm ebenfalls: Drei junge Männer haben sie umgelaufen, aus Versehen; sie seien ganz nett gewesen.
Im Fernsehen läuft stumm eine Quizshow. Meine Freundin und ich wissen nicht genau, wohin mit unserer Anwesenheit, und sitzen auf dem Bettrand. Das wird mein Bett. Meine Klamotten habe ich bereits in den Schrank geräumt und das weiße Krankenhaushemd angezogen. Ich fühle meinen nackten Rücken, mir ist kalt.
Ich werde gleich am rechten Knie operiert. Das ist die erste Operation meines Lebens und mein erster echter Aufenthalt in einem Krankenhaus, aber mir kommt alles bekannt vor, wahrscheinlich aus Filmen: die Art und Weise, in der mit Patient*innen gesprochen wird, das weiße Licht. Ich bin aufgeregt. Das erzähle ich Frau F. Sie nickt verständnisvoll. Doch bei ihr sei es anders.
Sie war kurz vor Weihnachten das letzte Mal hier wegen einer Lungenentzündung. Eine Herzoperation hatte sie „unter anderem“ auch, vor 20 Jahren. „Von oben nach unten geschnitten lag ich da“, sagt sie. Und nach einer Pause: „Ich bin Stammgast“, dann lacht sie mit dem ganzen Gesicht.
Draußen werden die Dächer der Charlottenburger Wohnhäuser weißer und weißer, der Himmel dunkelblau. „Es ist so weit“, sagt eine junge blonde Schwester mit Perlenohrringen. Sie hält die Tür offen, und gleich werde ich hinausgeschoben.
Luciana Ferrnando
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen