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berliner szenenTief stehende Sonne

Die Sonne steht schon tief und schickt ihr warmes Licht über die alten Pflastersteine am Rüdesheimer Platz. Noch kann man auf eine Kaffeelänge draußen sitzen, und so entscheide ich mich spontan für eine Pause in einem kleinen Café, hole mir am Tresen einen Cappuccino und besetze den letzten freien Tisch am Bordstein. Während ich meine Stirn in die Sonne recke, lausche ich dem Plätschern der Gespräche um mich herum. An den meisten Tischen sitzen Paare, nur an einem ein junger Mann, ebenfalls allein, in seine Zeitung vertieft.

Ich beobachte einen älteren Herrn, der mit auffallend griesgrämigem Gesicht in knappen Worten einen Kaffee ordert und damit nach draußen tritt. Unglücklich schaut er auf all die besetzten Tische, ich höre ihn aus tiefsten Tiefen seufzen, dann spricht er zögerlich den jungen Mann mit der Zeitung an. „Ist hier noch frei oder – ach was, Sie warten wahrscheinlich auch auf jemanden“, sagt er und winkt schon ab, bevor der Satz zu Ende ist. „Ja, das stimmt!“, sagt da der junge Mann und strahlt ihn an. „Ich warte auf jemanden. Auf Sie! Ich habe auf Sie gewartet, bitte schön!“

Im Nu hat er eine Tischhälfte freigeräumt und ihm den freien Stuhl zurechtgerückt. Der ältere Mann ist einigermaßen verdattert ob so viel überbordender Freundlichkeit, kann aber nicht verhindern, dass in seinem grimmigen Gesicht die Sonne aufgeht.

Ein wenig misstrauisch wartet er, was wohl als Nächstes passiert, aber als der Jüngere nun ohne weitere Worte die Zeitung wieder aufnimmt und ihm beiläufig den ausgelesenen Kulturteil hinüberschiebt, entspannt er sich endgültig. Als ich gehe, sitzen die beiden schweigend, lesend und entspannt nebeneinander in der Abendsonne. Wäre ich eine Katze, denke ich, ich würde mich schnurrend zu ihren Füßen legen. Susanne M. Riedel

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