berliner szenen: Die Welt ist eine Zumutung
Mit M. betrete ich ein gemütliches Café, das ich bislang nur als Biergarten im Sommer kannte. Es gibt breite Sessel, Kaminfeuer, überall stehen Kerzen. M. und ich suchen uns einen Tisch am Kamin und ich sage, ich würde mir am liebsten die Schuhe ausziehen und mich auf ein Fell vor dem Kamin fläzen wie in einem dieser blöden romantischen Winterfilme. M. lacht und sagt: „Tu dir keinen Zwang an.“ Ich kann aber grad noch an mich halten.
An den Nebentisch setzen sich eine Mutter und ihre erwachsene Tochter mit einem kleinen Hund, der eine Daunenjacke trägt. Der Hund ist dünn, zittert und hat riesige, aufgerissene Augen, als wäre die Welt eine einzige Zumutung. Das ist sie ja vielleicht auch. „Sitz, Häuptling“, sagt die Mutter. Die Tochter will Kuchen bestellen, aber die Mutter fasst sich an den Bauch und sagt: „Für mich nur Kaffee.“ Dabei sieht sie auf die muskulös breiten Oberschenkel der Tochter.
Die Bedienung kommt, die Mutter bestellt Latte macchiato mit einem extra Espresso und der junge Mann tippt in das Eingabegerät und entschuldigt sich. „Mein erster Tag heute.“ Die Tochter überlegt, für welchen Kuchen sie sich entscheidet, da sagt die Mutter zum Kellner: „Heute nur ein Stück Torte für die junge Dame. Nach den Feiertagen muss sie mal auf ihre Linie achten.“
Die Tochter sieht starr in die Karte. Die Bedienung ist unangenehm berührt und sagt: „Ich kann gleich noch mal wiederkommen, wenn Sie etwas Zeit brauchen.“ Die Tochter sieht die Mutter an, dann die Bedienung und sagt: „Schon gut. Ich nehme die Möhrentorte und den Käsekuchen. Aber mit zwei Gabeln bitte, weil meine Mutter immer mitisst und mir kaum etwas übrig lässt.“ Die Bedienung grinst und tippt in das Gerät. Mutter und Tochter sehen sich über den Tisch hinweg gereizt an. Und der Hund zittert dazu. Isobel Markus
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