berliner szenen: Schwarze Gans zum Fest
Das triefnasse Grau der Straße schneidet mir Grimassen. Nur gut, dass ich am Wochenende die eigenen vier Wände nicht verlassen muss. Leider ist mein Kühlschrank anderer Meinung. Wenn ich sein Innenleben ernst nehme, komme ich nicht umhin zuzugeben, dass ich ihn vernachlässigt habe.
Geplagt vom schlechten Gewissen verlasse ich die Wohnung. Noch dabei einen Mantel überzuziehen, stolpere ich über eine kleine Tanne, die meine Nachbarn vor ihrem Eingang geparkt haben. Was macht denn das Ding hier? Ein Treppe tiefer höre ich Kinder aus vollen Kehlen singen und auf Instrumenten experimentieren. Irgendwie kommt mir die Melodie trotzdem bekannt vor.
Oh nein! Steht etwa wieder das W-Fest an? Ich habe das letzte noch gar nicht verdaut. Was war da gleich noch los? Eigentlich nichts Besonderes. Meine Freundin wollte unbedingt eine Gans im Ofen machen. Ich sagte, lass uns eine bestellen. Das ist einfacher, mein Ofen … Sie lächelte mir ins Wort und sagte, das komme gar nicht infrage, sie habe ein tolles Rezept von ihrer Oma. Bestimmt kannte die Oma einen Backofen wie den meinen nicht, sonst hätte sie das in ihrem Rezept berücksichtigt. Jede Tiefkühlpizza wird unten schon schwarz, obwohl der Belag obendrauf noch gefroren ist.
Natürlich hatte ich Schuld, und natürlich hatte das Unglück nichts damit zu tun, dass wir uns kurz danach getrennt haben. Aber das ist alles Schnee von gestern. Heute muss ich meinen Mann in einem der überfüllten Supermärkte am Maybachufer stehen. Dabei schaffe ich es nicht einmal heil die Treppe hinunter. Auch die Nachbarn im ersten Stock – ganz liebe Leute – fanden die Idee prima, den W-Baum vor der Tür stehen zu lassen. Nur ist ihrer um einiges größer. Seltsam, dass ich den übersehen habe. Henning Brüns
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