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berliner szenenZentauren und Flamingos

Als Kind träumte ich davon, ein Zentaur zu sein. Daran erinnere ich mich, als ich aus meiner Physiopraxis den Karl-Marx-Platz hinausblicke. Da stehen einige mythologische Tiere aus Bronze, darunter das Fabelwesen, halb Mensch, halb Pferd.

„Bist du heute schlecht drauf?“ Die Stimme meiner Physiotherapeutin holt mich in die Realität zurück. „Nein“, antworte ich. „Ich musste mich nur richtig beeilen.“

Eigentlich wie immer – das sage ich ihr aber nicht. Schon beim Verlassen des Hauses merke ich, dass die Zeit zu knapp für mein kaputtes Knie wird. Ich versuche trotzdem, mich zu beeilen. Vielleicht kommen mir meine Beine deshalb vor wie die eines Flamingos, so, als würden sie jeden Moment nachgeben. So gehe ich am Kiosk vorbei, wo Selbstverteidigungsartikel und Raucherbedarf angeboten werden, am Passage-Kino, vor dessen Eingang einige Menschen ihr Frühstücksbier trinken, am Tandur-Laden, der nach frischem Brot duftet, und an dem Ort, den ich „Petit Bangkok“ nenne, weil er mich an diese Stadt erinnert. Auch die Bio Company lasse ich hinter mir. Da trinke ich später einen Cappuccino, weil sie große Fenster haben, durch die ich die Passanten beobachten kann.

Den roten Backsteinturm der Kirche am Ende der Straße mit seiner Uhr habe ich ständig im Blick – so weiß ich, dass ich zu spät bin. Manchmal rufen sie mich aus der Praxis an, genau wenn ich die letzte Kreuzung überquere, und ich sage, dass ich gleich da bin. „Nur noch ein paar Meter und vier Etagen“, sage ich, und sie sind mir nicht böse. Den Turm sehe ich auch aus der Praxis, ebenso die Tauben, die beschäftigt hin und her fliegen. Und den Zentaur. „Pass auf“, sagt dann meine Physiotherapeutin. Sie drückt mir 10 Kilo Gewicht in die Hand und zeigt mir die Übungen, die ich machen soll.

Luciana Ferrando

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