berliner szenen: Warme Würste aus der Hölle
Nach dem Kantinenlesen am Samstag gehen wir noch etwas trinken. Wir betreten eine Eckkneipe, und schon beim Hereinkommen ist es, als wären wir in ein vergangenes Jahrzehnt gesprungen. Hier werden typisch deutsche aber eher fleischlastige Gerichte angeboten. Ich bestelle also Pommes, die anderen so interessante Sachen wie Blutwurst oder Gulasch. Ich erinnere mich, dass es bei Nachbarn im Dorf früher oft warme Blutwurst mit Zwiebeln und Bratkartoffeln gab und sie das Gericht Himmel und Hölle nannten. Als Kind rätselte ich, was davon der Himmel und was die Hölle darstellen sollte und ob vielleicht der Geschmack gemeint war, tippte dann aber auf das Aussehen der fast schwarzen krümeligen Blutwurst, die ziemlich höllenartig und wie Wundschorf rüberkam. Zu fragen traute ich mich nicht, denn als ich einmal wissen wollte, wieso es heute Zunge geben würde, führte Großmutter mich in die Küche und zeigte auf zwei Rinderzungen, die wollüstig züngelnd im Ganzen neben der Spüle lagen. Sie schienen direkt aus der Hölle zu kommen. „Nu, nu“, machte sie beruhigend, als sie mein Gesicht sah. Zunge habe ich nie wieder gegessen.
Später stehe ich an der Tramhaltestelle und warte auf die M 10. Mit mir warten schlimm zugerichtete Monster und Zombies, die Halloween schon mal vorfeiern. Ein Mann mit bläulichem Gesicht und einer Wunde auf der Stirn, von der ich vermute, dass sie echt ist, läuft mit stierem Blick und einer Bierpulle in der Hand vorbei und ruft laut wie ein Zirkusdompteur: „Willkommen im Comedy-Club des Grauens. Fühlen Sie sich nicht voll bekloppt?“ Die Monster neben mir entblößen ihre Fratzen. Einer mit Teufelsmaske auf dem Hinterkopf lacht, auf seinen Wangen klaffen verkrustete Wunden und ich überlege, ob er sich einfach Blutwurst ins Gesicht geschmiert hat. Isobel Markus
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