berliner szenen: Machen ist wie wollen, nur krasser
Lange Zeit stand der Satz an einer Hausfassade bei mir um die Ecke: „Machen ist wie wollen, nur krasser“. Vielleicht ist das Statement immer noch dort, aber man kann die überdimensionalen weißen Buchstaben nicht mehr sehen: Sie sind jetzt hinter einem neuen Bauwerk geblieben, das gerade im Eiltempo errichtet wird. Kräne, Bauarbeiter und das Gerüst des neuen Hauses verdecken die Wand. Lkws und Maschinen sind tagsüber kontinuierlich im Einsatz, sodass Eltern mit kleinen Kindern häufig dort stehen bleiben, um sich die Hektik anzuschauen – oft besteht das Publikum auch aus Erwachsenen ohne Kinder.
Der Platz, den die Baustelle besetzt und auf dem gebaut wird, gehörte früher zum Hof zweier rechtwinklig zueinanderstehender Häuser. Dorthin blickte ich, während ich nach meiner Laufstrecke den Stromkasten gegenüber nutzte, um meine Beine zu dehnen. Ich sah eine Schaukel und manchmal spielende Kinder, einige Stühle, die mal leer waren, mal von Nachbar*innen besetzt, die sich unterhielten, geparkte Fahrräder und einige Sträucher. Die Bewohner*innen kämpfen seit Langem gegen den Verkauf eines der Wohnhäuser sowie gegen Gentrifizierung und setzten sich dafür ein, dass der Hof nicht bebaut wird. Doch der Bezirk habe das erlaubt, weil zehn Prozent des Neubaus Sozialwohnungen werden sollen, erklärte mir eine Nachbarin, der ich oft im Park beim Joggen begegne.
„Zehn Prozent sind dreieinhalb Wohnungen und für uns alle, die wir hier leben, bedeutet das mindestens zwei Jahre Lärm, Schmutz und Ärger. Ich bin so unglaublich wütend“, schrieb sie auf Facebook. Jetzt, wenn ich meine Dehnübungen mache, lächeln mich die Bauarbeiter an. Ich lächle nicht zurück und kann es nicht vermeiden, an das verdeckte Graffito zu denken.
Luciana Ferrando
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