berliner szenen: Alte Damen mögen Joints
Neulich, meint eine meiner ältesten Freundinnen, habe sie etwas erlebt, was ich unbedingt aufschreiben müsse: Sie habe mit ihrem Mann und ihrer Mutter im Außenbereich des Cafés der Schaubühne gesessen, um auf ihre Tochter zu warten, die in der Nähe zum Ballett gehe, als zwei Jungs ihren Nachbartisch besetzt hätten: „Mit Jungs meine ich jetzt so circa 17- bis 19-Jährige.“ Die beiden seien auffällig gekleidet gewesen: „In Marken mit gewählten Statement-Pieces.“ Ich runzele die Stirn: „Was bitte sind Statement-Pieces?“ Sie erklärt: „Na, sowas wie ein dezenter Gürtel, der perfekt passt, ohne dass man seinen Wert sieht. Aber das tut wenig zur Sache.“ Die beiden, erzählt sie weiter, setzten sich und bauten erst einmal sorgfältig ein edles Schachspiel aus Holz auf ihrem Tisch auf: „Und dann nehmen sie sich eine Tüte Gras, schütten den Inhalt auf dem Tisch aus und fangen an, sich jeweils mit pinken Papers einen Joint zu bauen.“ Ich sehe die Freundin erwartungsvoll an. Sie lacht: „Die Geschichte kommt jetzt erst.“
Am Nachbartisch hätten zwei ältere Damen gesessen. Damen, wie man sich Charlottenburger Damen vorstelle. Damen wie aus der Linie 1 des Grips-Theaters mit langen fließenden Röcken, Blazern, Seidentüchern und hohen Schuhen, beide über 80: „Und die haben die Jungs die ganze Zeit beobachtet.“ Irgendwann sei eine der beiden an den Tisch derer gegangen, habe auf den Joint gedeutet und gefragt: „Könnten Sie mir vielleicht auch so einen machen, junger Herr?“ Und der Junge habe nüchtern erwidert: „Klar, aber erst einmal spiele ich eine Runde Schach.“ Nach einer Dreiviertelstunde habe er dann tatsächlich einen Joint für die alte Dame gedreht und ihn ihr kommentarlos auf den Tisch gelegt: „Und sie sagt nur: ‚Danke, ich wollte das schon immer machen, hatte aber nie die Gelegenheit.‘“
Eva-Lena Lörzer
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