piwik no script img

berliner szenenAber dafür ist sie alt genug

Der Berlin-Tourist hat sich vor der Kirche niedergelassen. Aus dem Rucksack kramt er Tabak, Blättchen, Buch und Brille. Seine Frau will shoppen gehen. Er wird erst mal die Tochter anrufen, heute war Zeugnisvergabe. Sie wäre gern allein zu Hause geblieben, aber das durfte sie nicht. Nicht in ihrem Alter, da war der Vater streng. Ist ihm egal, wenn ihre Freundin das darf. Im nächsten Jahr kann man das Thema gern noch mal hochholen.

Nellie ist also für dieses verlängerte Wochenende zur Oma gezogen, auch ganz schön. Die Oma kocht jeden Tag Lieblingsessen, erzählt sie dem Vater jetzt im Video-Call. Ja, das Zeugnis war auch okay. Mehr rückt sie nicht raus. Kommentarlos reicht sie ihr Telefon an die Großmutter weiter. Vom Zeugnis weiß die gar nichts. Sagt sie jedenfalls. Zensuren hält sie außerdem für überschätzt. Er selbst sei doch das beste Beispiel dafür. Sie schwärmt von der Enkelin. Gestern haben sie zusammen die halbe Nacht eine Serie geguckt.

Den Vater interessiert die Serie nicht besonders, ihm ist etwas anderes eingefallen. Er will noch mal seine Tochter sprechen. „Nellie, kannst du mir einen Gefallen tun, bitte?“ Er klingt jetzt ganz verbindlich, als spreche er mit einer Erwachsenen. Gleich, wenn er nach Hause kommt, will er zu einem Klassentreffen aufbrechen. Es wäre schön, wenn ihm Nellie dafür noch Kekse backen könnte. Sie stöhnt gedehnt, angeblich sind nicht alle Zutaten vorhanden, zum Einkaufen hat sie gerade überhaupt keine Zeit. Der Vater unterbricht sie, er will nicht, dass sie ins Detail geht. Doch, doch, er habe gerade eingekauft, beschwichtigt er. In der Dose auf dem Küchenschrank sind genau 12 Gramm. Sie soll aber bitte zu Hause backen. Jetzt lässt sie sich gnädig erweichen. „Nellie, du bist ein Schatz.“ Für Papas Cannabis-Cookies ist sie alt genug.

Claudia Ingenhoven

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen