berliner szenen: Doch plötzlich war sie weg
Scheint’s hat die Hektik auch in Kladow die Muße verdrängt. Das geht mir nicht schnell genug!, herrscht ein Familienvater die Kellnerin im Biergarten an inmitten lieblichsten Sonnenscheins, blauesten Havelglitzerns. Er hatte nach mir bestellt, ich sitze am Nebentisch und verstehe seine Laune nicht hier im Paradies, er schleudert sie um sich wie Giftkorn. Als das Essen kommt, prasselt sein Unmut auf Frau und Kinder nieder. Ich setze mich um.
Nach dem Biergarten schaukele ich mit der Fähre rüber nach Wannsee. Lasse meinen Blick schweifen. Kenn ich doch – geht mir durch den Kopf, als ich mich dabei ertappe, wie ich mein Gegenüber wiederholt ansehe. Doch woher nur? Tja … Ich stecke mein Portemonnaie weg, gucke davor rein, prüfe, ob drüben noch ein Eis möglich ist. Ja, ist möglich. Beim Anblick des Geldscheins dann fällt der Groschen: Ah, von der Thaimassage. Vor drei Jahren, oder? – P., die verloren gegangene Masseurin, die plötzlich weg war, nicht mehr im Salon mit dem buttrigen Tee, kann ich präzisieren. Einfach überhaupt nicht mehr auffindbar, hieß es damals, fortgegangen sei sie, ja, man wisse aber nicht, wohin. Sie hatte besondere Hände, war schüchtern gewesen, erinnere ich mich. Redete kaum, doch spürte alles. Selten. Beim letzten Mal hatte ich ihr kein Trinkgeld geben können, da überraschend die Preise erhöht worden waren. Hole ich nach, hatte ich ihr gesagt. Doch dann war sie verschwunden.
Jetzt spreche ich mein Fähren-Vis-à-vis an. Nein, das sei eine Verwechslung, sagt sie leutselig auf Englisch, sie sei nur zu Besuch in Berlin, heiße nicht P., sondern U. Schade. Wäre es hier in den berliner szenen möglich, jemanden vornamentlich zu suchen, würde ich’s jetzt mal tun. Zuallererst, um meine Trinkgeldschulden zu begleichen. Vorerst aber geht’s paradiesisch zum Eisessen.
Felix Primus
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