berliner szenen: Das verstörende Erbe
Vorm Späti fragt ein Typ die Holländer am Nebentisch, ob er sich dazu setzen darf. Er hat es auf die hübsche Blondine abgesehen, das ist nicht schwer zu erraten. Bloß setzen oder auch reden?, kommt die pfiffige Gegenfrage. Leider werde ich abgelenkt und kann nicht hören, wie es weitergeht: V. ruft an. Er hat einen alten Wohnwagen gekauft und fragt, ob ich ein paar Tage darin übernachten will, während er unterwegs ist. Es gibt sogar Internet, sagt er. Meistens gibt es auch etwas im Garten zu tun, doch das sagt er immer erst später. Dabei hab ich nichts gegen Gartenarbeit, solange es nicht mein eigener Garten ist.
Der Wohnwagen steht neben dem Haus, das V. und sein Bruder von ihrer Mutter geerbt haben. Ins Haus darf V. nur noch wenige Monate im Jahr, seit es Streit mit dem Bruder gab und einen Gerichtsbeschluss. Der Wohnwagen ist für die übrige Zeit, in der sein Bruder und dessen Familie im Haus wohnen. Dass er neuerdings das Gästeklo im Haus benutzen darf, deutet V. als Appeasement.
Da ist G. besser dran. Er kümmert sich um die Abwicklung von Geschäften, denen sein verstorbener Vater noch mit 85 fast täglich nachgegangen ist. Er plante Heizungs- und Belüftungsanlagen für Veranstaltungshallen. Die türkischen Auftraggeber, sagte mir G., hätten in den höchsten Tönen von seinem Vater gesprochen. Was er neulich mit einem Handwerker beim Ortstermin im Elternhaus entdeckt habe, sagte G., habe ihm allerdings auch eine etwas verstörende Seite des Vaters offenbart. Wegen eines Wasserschadens mussten Wände aufgerissen und Rohrleitungen ersetzt werden. Über das dabei zum Vorschein gekommene Wirrwarr an selbst verlegten Leitungen habe der Handwerker nur den Kopf geschüttelt und gesagt, manchmal sei es besser, abzureißen und neu zu bauen.
Sascha Josuweit
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen