berliner szenen: Grünspecht, Rabenkrähe, Hitze
Mit der Ringbahn bin ich zur Heerstraße gefahren, radle zum Teufelssee. Abgeschmolzener Toteisbrocken … Gletscher … Eiszeit – solche Worte gehen mir zu diesem Gewässer durch den Kopf und kühlen bereits jetzt die unaussprechliche Hitze, die mich umwabert, während ich die wie flüssig flimmernde Teufelsseechaussee hinuntersause. Eiszeit! Das Baden im hoffentlich eiszeitkalten See sowie die schleckbare Eiszeit am Stil nach dem Schwimmen kann ich kaum erwarten. Ein Auto voller Ausgebadeter kommt mir entgegen auf meiner Fahrt. Ziemlich rasant unterwegs, finde ich, und sehe im nächsten Moment, dass ein Vogel, der die Fahrbahn vor dem Flitzer passieren wollte, dessen Stoßstange touchiert und unters Auto gerät. Liegenbleibt. Ein Grünspecht. Ach, der Arme, denke ich weiterfahrend. Gut möglich, dass es auch ihn zum Wasser zog an diesem heißen Tag, wo die Rabenkrähen in der Innenstadt schon vor Stunden mit weit aufgesperrten Schnäbeln um Kühlung rangen. Kurz darauf sehe ich meinem Fahrrad dabei zu, wie es abbremst, wendet und mit mir zurück Richtung Vogel strebt. Tatsächlich liegt er leblos in der Mitte der Fahrbahn.
Ich hatte mich also nicht getäuscht, dieser Vorfall war nicht halluziniert, war keine Fata Morgana gewesen. Schon nähern sich ihm zwei Fahrzeuge in kurzem Abstand. Das erste überfährt ihn berührungslos mittig, das zweite steuert direkt auf den Vogel zu, wohl ohne ihn zu bemerken. Aber noch bevor ein Vorderreifen es erfasst, erhebt sich das bis dahin reglose Tier blitzschnell vom glutheißen Asphalt. Fliegt auf und davon. Damit hatte ich nicht gerechnet. Verblüffend. Ich atme durch. In mir klingt die Strophe eines alten Liedes an, das die Geschicke eines Vogels besingt: „Da spreizt er sein Gefiedere, guck guck, guck guck, und flog dahin wohl übern See.“ Felix Primus
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