berliner szenen: Menscheln, Mensch, Mitmensch
Schuhkauf ohne zweifachen Bänderriss am Sprunggelenk ist möglich – aber unsportlich. Also tat ich’s gestern mit. Obwohl mir eine Freundin abgeraten hatte. Lieber im Internet, die Menschen sind doch so unfreundlich geworden, meinte sie.
Ich wollte wasserdichte Sneaker kaufen, weil ich den Regen verheißenden Eichen in den „berliner szenen“ vom Mai Glauben schenkte. Und nur zur Sicherheit auch noch Sandalen. Damit fing ich an. Wurde fündig. Mit der rechten Ladensandale in der Hand bat ich die Verkäuferin, mir die linke zu bringen, rechts sei momentan lädiert. Ach Gottchen, sagte sie, Sie Armer!, und erklomm die fünf Stufen zum Lager. Bevor sie durch die grobe, gelbe Gardine verschwand, rief sie mir von dieser Gesangswarte aus noch quietschvergnügt zu: Bin gleich bei Ihnen!
Ich spielte einstweilen mit dem sprungschschanzenlangen Schuhlöffel. In Windeseile erschien sie wieder, mit Schuh und Anprobierhocker. Chrom und Leder?, lachte ich. Sie nahm auf dem Hocker Platz, erzählte nickend: Sollten alle entsorgt werden, den hab ich gerettet – für Fälle wie Sie! Wie von selbst probierte sich der Schuh an auf dieser Wunderkonstruktion im Bauhausstil. Die Sandale passte wie angegossen. Nach ein paar Wackelschritten entschloss ich mich zum Kauf. Die noch sitzende Verkäuferin tippte mit dem Finger auf die Sandale und erklärte: Lederpflege hab ich vorn an der Kasse. Ich humpelte nach vorne, den Blick auf meinen zigfach geflickten, aber heiß geliebten, weil so charakterstarken Schuh, in den als einzigen die Orthese hineinpasst. Den Kauf der Regensneaker ließ ich vorerst sein. Beim Bezahlen fragte ich die Verkäuferin: Sind die auch wasserdicht? Sie – Sie!, drohte sie mir verschmitzt und fächelte mich aus dem Laden. Menscheln, Mensch sein, Mitmensch. Von Angesicht zu Angesicht. Unverzichtbar. Felix Primus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen