berliner szenen: Siebenmal langsamer als die Frau
Im DB-Reisebüro am Bahnhof Spandau sind von vier Schaltern nur zwei besetzt. Hinter dem linken steht eine Frau, hinter dem rechten ein Mann. Der Mann berät Mutter und Tochter: „Da können Sie von Spandau aus fahren. Mit der Verbindung können Sie beim Umsteigen in Hamburg noch gemütlich essen, ehe der Zug nach Kopenhagen fährt. Am Hamburger Hauptbahnhof gibt es …“ Die Mutter fragt nach dem Preisunterschied. Statt Zahlen zu nennen, warnt der Mann sie: „Also mit Schwimmen wird es um die Jahreszeit schwierig. Ich weiß ja nicht, ob Sie das vorhatten, aber.“ Die Mutter bittet, die günstigste Route zu buchen. Er fragt, ob die beiden eine Bahncard hätten und erklärt Vorteile und Abläufe der Bestellung. Dann bleibt nur noch die Platzwahl. Er fragt, ob die Mutter mit dem kleinen Sohn, der auch mitfahren solle, wirklich in einem Großraumabteil sitzen wolle: „Man kennt das doch. Dann streitet er am Schluss laut mit der Schwester.“
Während der Mann redet und redet, sucht die Frau am linken Schalter komplizierte Auslandsverbindungen und Sparpreise für sieben Wartende heraus. Hinter mir stehen bald 10, bald 15, bald 20 Menschen.
Einer älteren Dame wird schwindelig. Sie erzählt, dass sie nur eine Verbindung erfragen wolle. Ich sage: „Das geht doch auch am Computer!“ Und frage, ob es sich um eine Auslandsreise handele. Sie schüttelt den Kopf: „Um einen Todesfall.“ Den Computer verstehe sie nicht: „Den muss ich mir mal in Ruhe ansehen, wenn es nicht ganz so dringend ist.“
Erst nach einer Stunde wird ein dritter Schalter besetzt. Eine Frau hinter mir flüstert: „Endlich! Ich bin hier oft. Der ist immer langsam. So schlimm aber war es noch nie. Ich frage mich, wie viel der am Tag schafft.“ Und dann: „Der muss noch verbeamtet sein, sonst wäre der längst weg.“
Eva-Lena Lörzer
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