berliner szenen: Wo Schwäne ihre Flügel spreizen
Ein kleiner Junge, der mir zulächelt am See. Süß lächelt er, doch schon sind seine Augen von Schmerz überspült, und das Schmerzliche überschreibt sein schmales Gesicht. Wie mit einem winzigen Ruck gewinnt das Lächeln wieder die Oberhand, Neugier blitzt auf. Doch nur kurz. Dann trägt er abermals das Gesicht eines besorgten, sogar alarmierten Kindes. Diese Besorgnis regiert nun den ganzen Körper, der furchtsam wird. Noch einmal holt sich der Kleine sein Lächeln zurück, kann es aber nicht halten. Ich winke ihm zu. Der Schmerz ist nun auch bei mir. Wie heißt du?, frag ich. Die Mutter kommt herbei, sagt für ihn: Eineinhalb. Und auf mein erneutes Fragen seinen Namen.
Eine Weile holpern wir zwischen den Sprachen. Der Krieg ist schlimm für ihn, sagt sie. Der Junge bückt sich nach einer Muschel. Ein Kind, am See spielend, und doch den Krieg unmittelbar um sich habend – selbst hier, wo die Schwäne ihre reinen Hälse zum Wasser neigen und ihre Flügel wie Flaggen der Freiheit aufspreizen. Was das Kind wohl beschwert?, denke ich. Es kann nicht Kind sein, nicht erwachsen. Ist ein Onkel im Krieg? Der Vater gefallen? Ist es die Ungewissheit seiner Familie, wie’s weitergeht? Ich weiß es nicht, frag nicht. Unerheblich. Unerheblich, welcher Krieg, unerheblich, welcher Nationalität dies Mutter-Kind-Gespann.
Wenn sich ein Kind wehtut, pusten Mutter oder Vater aufs Wehwehchen, tupfen ein wenig Spucke auf den verletzten Finger, den Mückenstich. Doch wohin soll diese Mutter pusten? Wie ihn trösten? Nicht nur ein Wehwehchen bepusten, das ist nicht genug. Jene Köpfe bepusten, in denen das Wort Krieg alles überschrieben hat. Dies Wort fortnehmen, verpusten aus den Köpfen, den Fingern, den Augen, so lange, bis dort ein Weg zum Frieden sichtbar wird. Und am See federleichtes Kinderlachen.
Felix Primus
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