berliner szenen: Du, der ist ein ganz Lieber
Geschätzt 13 Grad hat das Wasser des Plötzensees Anfang Mai. 50 Züge rein, 50 Züge raus müssten zu schaffen sein, denke ich. Ohnehin, das Wetter so warm, ich bin nicht die Einzige, die schnell ein Bad nehmen will. Die ersten Züge im See halte ich die Luft an wegen der Kälte. Plötzlich merke ich, ich werde bedrängt, jemand legt seine Pranken auf meinen Rücken, rutscht aber ab. Ich drehe mich um, mir stockt der Atem, ich schaue in das riesige Gesicht eines Schäferhundes mit aufgerissenem Maul.
Am Ufer Geschrei, „Pepe, komm zurück, Pepe, hierher.“ Leute glotzen. Ich fange an zu schreien. „Hau ab! Heh, was soll das! Hol den Hund zurück! Hast du sie noch alle? Was bist du für ein Idiot?“ Das Wasser fühlt sich nicht mehr kalt an. Der Hund dreht ab. „Verantwortungsloses Arschloch!“, brülle ich dem Typ am Ufer zu. Der verschwindet.
Als ich aus dem Wasser komme und die Kratzspuren begutachte, stößt das auf wenig Empathie. Einer sagt: „Der Hund will halt auch ins Wasser.“ Ein anderer: „Der hat es nicht mit Absicht getan. Er ist kein Arschloch oder Idiot.“ Ich stutze. „Und wie würdest du ihn nennen?“, frage ich. „Jedenfalls nicht so.“ Ich frage, ob er den jetzt verteidigt. Er verneint. „Ich empfinde es aber so. Täter-Opfer-Umkehr nennt man’s.“
Auf dem Rückweg mit dem Fahrrad läuft mir das Arschloch über den Weg. Neben ihm der Hund. Nicht angeleint, ist klar. Die Leine hängt dem Typen wie eine Kette um den Hals. „Du warst das eben mit dem Hund“, sage ich, „ich hätte einen Herzinfarkt haben können.“ Es täte ihm leid, sagt er. Es sei doch nichts passiert. „Warum ist das Tier nicht an der Leine?“, frage ich, ich könne ihn anzeigen. Er könne ihn ja anleinen, wenn ich mich dann besser fühle, sagt er. Dann sagt er noch, was Hundebesitzer immer sagen: „Der ist ein ganz Lieber, der will nur spielen.“ Waltraud Schwab
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