berliner szenen: Hier wird auch geweint
Am Nachbartisch weint jemand. Warum fast immer, wenn ich da bin, geweint wird, frage ich mich mittlerweile nicht mehr. Trotz dieser komischen Zufälle nutze ich hin und wieder gern das Galeria Restaurant in der vierten Etage des Karstadt am Hermannplatz als Home Office. Ich mag die atmosphärische Mischung aus Hotelbuffet, Mensa und Krankenhauskantine, aber vor allem, dass die Sonne reinscheint – wenn sie scheint – und dass man einen Blick über Neukölln bekommt, ohne in einer Hipster-Terrasse dafür Eintritt bezahlen zu müssen.
Ältere wie jüngere Menschen scheinen sich dort wohl zu fühlen, Karstadt-Angestellte so wie Zufalls-Besucher*innen. Der Platz reicht für alle und es ist nicht schwer, eine Ecke zu finden, wo man unbemerkt stundenlang arbeiten kann. Oder eben weinen. Letztes Mal war es eine junge Frau, die – das Handy unter ihrem Kopftuch gesteckt – heulte. Diesmal ist es ein junger Mann, der seiner Mutter gegenübersitzt. Er sagt ihr, dass er den Kontakt zu ihr abbrechen möchte und dass es ihn zu traurig mache, kein Gehör bei ihr zu finden. „Wegen meiner Kindheitstraumata musste ich meine Beziehung beenden“, sagt er.
Ich hatte mir ein üppiges Frühstück zusammengestellt: Croissant, Orangensaft, Milchkaffee, Rührei, Bratkartoffel und Obstsalat. Doch plötzlich habe ich einen Kloß im Hals und kann das Essen nicht mehr anfassen.
Ich schalte den Laptop ein und versuche mich auf meine Sachen zu konzentrieren, ich kann allerdings nicht vermeiden, die Geschichte zu hören und bin gespannt, was die Mutter ihm antworten wird. Aber sie schweigt und er geht zur Toilette.
Als er zurückkommt, herrscht eine Weile Stille. Dann weint der Mann nicht mehr. Er fängt an, von seiner Tanzstunde zu erzählen.
Luciana Ferrando
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