berliner szenen: Der Friseur ist unüblich stumm
Acht?, fragt der Friseur und will schon den Haarschneider ansetzen. Zwölf, sag ich. Nachdem er’s eine Weile in Händen wiegt, legt er das Maschinchen beiseite. Das hat er noch nie getan. Nach anfänglichen Viermillimeter-Eskapaden hatten wir uns vor Monaten zügig auf die richtige Länge geeinigt. Wobei ich mich ab und zu doch fragen musste, worauf sich diese magische Zahl denn eigentlich bezieht – auf die Länge der gekappten oder die der stehenbleibenden Haare. Der junge Friseur ist unüblich stumm heute. Meine vereinzelten Sätze lässt er karg ins Leere laufen. Was ist los? Er konzentriert sich einfach auf sein Handwerk, beschließe ich zu denken. Doch: Abwesend wirkt er.
Kein Kunde sonst im Salon, nur noch ein Friseur, der Handyvideos guckt. Mein Blick schweift zu den 14 verschieden grellen und verschieden grell riechenden Geldosen. Die haben sich unterm Spiegel zum Gruppenbild gelagert und sind mir inzwischen vertraut wie Freunde. Daneben skurril gekrümmte Scheren, Wattebäusche, blitzende Bartmesser. Dann sein federleichter Nackenruck, noch federleichter als sonst, der mich nun den Boden studieren lässt. Nach einer halben Stunde nimmt er mir die papierne Halskrause ab, pinselt die Haare fort. Als er den Umhang löst, blickt er mich an, at last!, und schwenkt den Handspiegel zu meinem Hinterkopf. Wow!, sage ich. Einen besseren Schnitt hatte ich nie. Ohne Maschine! Schnell blickt er wieder beiseite.
Ich sehe seinen akribisch getrimmten Vollbart, sein fein konturiertes Profil. Feiner und heller denn je. Bevor ich bezahle, sagt er mir leise: Eine Frau – ich liebe, sie liebt auch, und jetzt sagt: Nein. Warum?, frag ich. Er zuckt die Schultern matt, lächelt matt. Liebeskummer – was für ein Lehrmeister, denk ich, als ich drüben am Lausi auf mein Schawarma warte. Felix Primus
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