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berliner szenenKultiviert mit DM-Zeitschrift

Während ich nackt auf eine Terrasse über einen Parkplatz am Hermannplatz blicke und wegen der Kälte zittere, denke ich über das Schild nach. „Sei kultiviert“ steht darauf, neben der Saunatür hängt es. Alle anderen Hinweise („Bitte nicht starren“ oder „Keine Zärtlichkeiten“), die aufgelistet sind, kann ich nachvollziehen. Nur „Sei kultiviert“ nicht. Ist es eine Einladung zur Meditation? Heißt es, ich sollte mich über den Sinn des Lebens darin unterhalten? Ein Buch lesen?

Ich zucke mit den Schultern und betrete amüsiert den heißen Raum. Nichts werde ich unternehmen, nur schwitzen. So wie es die anderen Frauen tun. Die eine cremt sich ein, eine andere stöhnt vor sich hin, eine dritte hält die Hand an die Stirn, als ob drinnen die Sonne scheinen würde.

Ich freue mich darüber, dass ich die Idee hatte, in den Morgenstunden diesen Ort zu besuchen. Das war mir plötzlich eingefallen, als ich die geschlossenen Toren meines Sportvereins hinter mir gelassen hatte – ich war zu spät für das Training, matschig im Kopf und schlecht gelaunt. Dann erinnerte ich mich: Es gäbe eine Sauna am Hermannplatz. Da, wo der Baumarkt ist, hatte eine Freundin gesagt. „Ganz oben, wie ein Palast“. Ich kaufte mir eine Tageskarte und begegnete gleich der Freundin, die mir davon erzählt hatte. Sie ging raus, frisch geduscht, nach Haarspülung riechend. Was ich da tue, fragte sie überrascht, und ich antwortete, dass ich das auch nicht genau wisse.

Im Ruheraum sehe ich später einen älteren Mann auf der Terrasse, wie er sein Handtuch fallen lässt. Über ihm steht in großen roten Buchstaben: „Huxleys Neue Welt“. In diesem Raum sind Handys nicht erlaubt, und fast alle schließen die Augen. Auch ich schlafe vor einer DM-Zeitschrift ein. Ganz kultiviert.

Luciana Ferrando

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