berliner szenen: Sex-Talk in der U-Bahn
Seit es wirklich Winter ist, fahre ich nicht mehr Fahrrad. Ich fahre Bahn, und zwar U-Bahn. „Meine“ S-Bahn ist baustellenbedingt für mehrere Wochen nicht in Betrieb. In der U-Bahn steht man gefühlt noch enger nebeneinander als in der S-Bahn. Das strengt mich an. Wegen all der Gespräche, die man immer mit anhören muss.
„Digga, ich sag dir, ich hab keinen Bock mehr.“ „Digga, geht mir genau so, Digga.“ Wer hirnlose Dialoge dieser Art zwischen zwei halbwüchsigen Männern über fünf Stationen lang anhören muss, weiß, was ich meine. Warum jeder, wirklich jeder einzelne Satz mit „Digga“ beginnen muss und manchmal auch noch so endet – ich verstehe es nicht. Und will es auch gar nicht wissen.
Doch eines Abends kommt Abwechslung in meine Bahnfahrt. Auf die Sitzbank gegenüber purzeln zwei sehr agile Zehnjährige und albern herum. Eine erwachsene männliche Begleitperson bleibt mit etwas Abstand zu den beiden an der U-Bahn-Tür stehen. Kann die Jungs deshalb auch nicht ermahnen, ihre dreckigen Winterstiefel von den Sitzen zu nehmen. Gerade als ich überlege, etwas dazu zu sagen, nimmt das Gespräch zwischen den beiden eine krasse Wendung.
„In welcher Klasse kriegt man eigentlich Sexualkunde?“, fragt der eine den anderen. Die erwachsene Begleitperson kommt näher. „Papa, wann hat man Sexualkunde? Hattest du das auch in der Schule?“, fragt einer der beiden: „Ja, hatte ich“, sagt der Vater, ein etwa Dreißigjähriger. „War es schlimm?“, fragt der Junge anteilnehmend. „Nee, wir haben fast die ganze Zeit nur gekichert“, erinnert sich der Vater „Ich glaube, das ist sowieso Quatsch“, sagt der Zehnjährige ernst. „Das muss man doch nicht lernen. Der Körper ist doch schlau, der weiß doch selber, was er tun muss.“ Gut, dass es Sexualkundeunterricht gibt, denke ich, als sie aussteigen.
Gaby Coldewey
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