berliner szenen: Blase schrumpft, Opa erzählt
Im Filmtheater am Friedrichshain haben wir extra die klassischen Pissplätze am Rand genommen, damit später nicht die ganze Reihe unseretwegen aufstehen muss. Alte Männer sollten für den Besuch von Filmen mit mehr als, sagen wir, 130 Minuten maximal nicht zugelassen werden, da muss am Einlass einfach streng gesiebt werden, und alte Frauen auch nur auf Vorlage eines urologischen Fachgutachtens. Die Blase schrumpft nun mal mit ihren Aufgaben.
Damit ist im Grunde schon fast alles gesagt zu Martin Scorceses’ neuem „Killers of the Flower Moon“ – spoilern tun schließlich immer nur die anderen. Deshalb an dieser Stelle bloß noch dies: Die fast dreieinhalb Stunden (plus 25 Minuten Reklame und Trailer!) spüren wir nicht in dem Maß, wie wir es befürchtet hätten, also nicht in Hirn, Augen und Gähntränendrüse, sondern neben der Pipiblase allenfalls am Arsch: 80 Prozent schmerzende Bewertungen auf „Buttock Tomatoes“.
Im Saal ist ein ständiges Kommen und Gehen: Wer, wenn nicht der Altmeister, müsste eigentlich Verständnis für die Nöte seiner grauen Guckys haben, aber ebendieses Alter hat wohl auch dazu geführt, dass er eben noch schnell dies, und dann auch noch jenes, und, ach ja, damals, seufz, und das dann vielleicht auch noch, dem Enkelchen nebenbei übers Köpfchen gestrichen, Alesia, Stalingrad, SO36, sülz, laber, und auch das muss euch euer Großvater noch rasch … und schon ist das Kaminfeuer runtergebrannt.
Die nächste Kneipe hat längst zu, im Foyer bekommen wir noch ein letztes halbwarmes Bier aus dem bereits dunklen Kühlschrank, und überhaupt ist fast der ganze Strom schon abgestellt, deshalb geht auch nur noch Cash und nicht mehr Kartenzahlung, voll so zwanzigstes Jahrhundert. Aber kein Problem, „dit isch Berlin“, wie der Schwabe sagt.
Uli Hannemann
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