berliner szenen: Unruhe in der Kassenschlange
Das passiert mir andauernd. Ich gehe in einen der Discounter am Maybachufer, um schnell noch etwas für das Abendessen einzukaufen – heute soll es unbedingt ein Kürbis sein –, doch plötzlich habe ich den Arm voll mit anderen Sachen. Joghurt, Tomaten, Salat … Vor allem der Joghurt macht mir Sorgen, als ich an der Kasse stehe. Ich hätte ihn etwas stabiler in der Armbeuge platzieren sollen. Jetzt liegt er obenauf und droht herunterzufallen. Mir wird ganz bange bei dem Skandal, den der aufplatzende Becher in meiner Umgebung auslösen würde.
Vorne in der Schlange gibt es ebenfalls ein Problem. Ich höre eine laute Frauenstimme, die sich beschwert: „Warum dauert das denn so lang?“ Hinter mir steht ein kleiner älterer Mann mit Baskenmütze. Er hat zwei Biere in der Hand. Ich lasse ihn vor. Er bedankt sich und erzählt mir, sein Hund, der Amigo heißt, würde draußen auf ihn warten. Er lasse ihn ungern allein, sagt er, es würden so viele Hunde geklaut. Augenzwinkernd erkundige ich mich, ob das zweite Bier für den Hund bestimmt sei. Der Mann schüttelt den Kopf. „Der Hund mag kein Bier“, sagt er und fügt schmunzelnd hinzu, „aber er kann die Flaschen öffnen.“ „Mit den Zähnen?“, frage ich ungläubig. Er nickt und zeigt mir die Flaschen. Sie haben einen Schraubverschluss. „Muss ein cleverer Bursche sein“, sage ich. „Ja, das stimmt, Labradore sind kluge Hunde“, sagt er, stolz wie ein Vater auf sein begabtes Kind.
Die Gemütslage an der Kasse hat sich inzwischen beruhigt. Der Mann zahlt seine Biere und geht eilig hinaus. Als ich kurz nach ihm den Laden verlasse, sehe ich beide vereint, der Hund ist außer sich vor Freude.
Ich bin neidisch. Bei mir zu Hause wird sich die Euphorie in Grenzen halten. Da fällt mir auf, dass ich den Kürbis vergessen habe.
Henning Brüns
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