berliner szenen: Der Knecht seiner Begierde
Geordnet geht es zu in der Freilichtkaltdusche, anders als auf der Heinrich-Heine-Straße, wo eben noch der Kampf zwischen Motor- und Muskelkraft tobte. Über soziale Energie kann keiner so begeistert loslabern wie Rainald Goetz. Als er nun auf einmal vor mir steht am Rand des Nichtschwimmerbeckens, schauen wir uns kurz in die Augen wie eine Erinnerung an vergangene Nächte und Begegnungen. Daran, was Goetz neulich in einem Vortrag im Wissenschaftskolleg gesagt hat, dass nämlich das Gewinnende der Jugend sich nicht in ihrer Sprache zeige, sondern im äußeren Schein ihres Seins, und sei es auf einer Fotografie, werde ich später noch denken müssen.
Auf dem Affenfelsen stellt ein Bademeister unterdessen einer Schwimmerin nach. Er fragt sie nach ihrem Namen und bietet ihr kaltes Wasser an. Als Knecht seiner Begierde merkt er nicht, dass er zu weit geht, als er wenig später eine eifrig aus dem Sanitätskoffer herbeigeholte Wasserflasche in Abwesenheit der jungen Frau unter ihr Handtuch legt.
Vielleicht weil sie auch nach einer halben Stunde nicht wiederauftaucht, lässt er nun seinen Frust an ein paar Grundschülern aus. Sie springen lautstark zwischen den Sonnenbadenden herum und beschmieren sich gegenseitig mit Sonnencreme.
Der Badeautokrat ruft die Security und lässt die Kinder abführen wie Verbrecher. Am Ausgang frage ich einen der Jungen, was passiert sei. Er schüttelt verzweifelt den Kopf. Er wisse es auch nicht. Er und seine Freunde hätten jetzt zwei Wochen Hausverbot.
Also frage ich die Security, ob das so sein müsse und es nicht genügt hätte, die Kinder vom Affenfelsen zu verscheuchen. Ein Teenager drängt sich dazwischen. Feindselig sieht er mich an. Was mischt du dich ein, Kartoffel, zischt er. Er weiß Dinge, die ich nicht weiß.
Sascha Josuweit
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