berliner szenen: Ein Augenblick von Einigkeit
Neulich war ich Zeuge. Eines Augenblicks. Es war früh am Morgen und die Luft bereits recht warm. Auf dem Weg in den Prenzlauer Berg radelte ich die Warschauer entlang. Kurz vor dem Frankfurter Tor ging es mit einem Mal nicht weiter. Ich stieg vom Rad und schob es auf dem Bürgersteig. Mit meinen Gedanken beim anstehenden Termin. Ein Besuch beim Zahnarzt ist immer etwas tückisch.
Der Autoverkehr stand still. Ebenso der Tramverkehr: Autos blockierten die Gleise. Zuerst glaubte ich an einen Unfall. Aber warum kein Sirenengeheul? Das aktuell Naheliegendste kam mir nicht in den Sinn. Alle vier Seiten der Kreuzung waren von jungen Menschen besetzt. Sie hatten sich mit einer Hand auf dem Asphalt festgeklebt. Es waren Repräsentanten der Letzten Generation. Schon hatte ich einen ihrer Flyer in der Hand.
Die Aktion vollzog sich in aller Ruhe. Ohne erkennbare Aggression. Kein Hupen, kein Geschrei. Der Berliner rastet nicht aus. Der Berliner bleibt cool. Das glaubt er gern von sich selbst. Aber auch wenn es ums Auto geht? Rechts von mir sah ich eine Frau im Schneidersitz auf der Straße sitzen. Sie machte einen souveränen Eindruck. Sie wusste offenbar, was auf sie zukam.
Ein Polizist näherte sich ihr. Auch er wirkte, als wäre ihm die Situation nicht neu. Er kniete sich neben sie und begann mit seiner Arbeit. Bald werden sie ihrer Wege gehen. Womöglich später zu einem Zahnarzttermin. Jeder von ihnen erledigte die ihm übertragene Aufgabe mit professioneller Gelassenheit. Beide dienen einer Gesellschaft, die viel mehr von dieser Gelassenheit vertragen könnte, einer Gesellschaft, in der ich eine nachhaltige Zukunft haben möchte. Zufrieden mit diesem Augenblick von Einigkeit im Wesentlichen setzte ich meinen Weg fort und war sogar pünktlich.
Henning Brüns
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