berliner szenen: Flossen für den Müllwerker
Eine Stimmung zwischen Schlussverkauf und Großreinemachen. Die BSR sammelt Sperrmüll im Kiez ein. Ein Wagen ist reserviert für Elektroschrott, in zwei anderen wird zermalmt, was die Männer in Orange reinwerfen. Funktionsfähiges deponieren sie am Straßenrand. Wer dort etwas entdeckt, darf es mitnehmen. Recycling ohne Umweg.
Acht Kaffeegläser wechseln, kaum abgestellt, den Besitzer. Seine Teenager-Tochter findet die heimischen Keramikbecher peinlich. Auffällig viele Rollatoren werden zum Mitnehmen angeboten. Sogar ein Cross-Trainer in Originalverpackung. Die alternde Gesellschaft bildet sich auch im Sperrmüll ab. Drei Kartons sind noch unangetastet. Ein Aufkleber zeigt OP-Masken, es dürften Tausende sein. Niemand möchte sich an den Mangel erinnern, der mal zum Selbernähen genötigt hat. Eine alte Frau findet so viel Brauchbares, dass ihr Handwagen sich kaum noch schieben lässt. Zum Verschenken, sagt sie. Hosen, Schuhe, Sweater – ob ihre Lieben sich darüber freuen werden? Stopp, ruft plötzlich einer der BSR-Männer, als jemand mit Schwung neongrüne Tauchflossen in den Müllwagen pfeffern will. „Die kann ich gut gebrauchen.“ Zwei Jungen entdecken Spielzeugpistolen. Was die Eltern niemals kaufen würden, gibt es hier umsonst.
Manche wirken froh, altes Zeug losgeworden zu sein, andere nehmen so viel mit, wie sie hergebracht haben. Manche treffen Nachbarn. Über das Kiez-Ereignis kann sich auch das Café an der Ecke freuen. Die Gäste beglückwünschen sich gegenseitig zu ihren Errungenschaften. Eine Frau erläutert laut, dass sie für künftige Fälle zweihundert Masken mitgenommen hat. Ein kleines Mädchen guckt sie finster an und zeigt ihr den Schweigefuchs. Leider kennt die Frau diese fingerfertige Kita-Geste nicht. Claudia Ingenhoven
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