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berliner szenenNachbarn an der Nacktbar

Rotkäppchen, wo bleibst du?“, ruft einer der Bier trinkenden Männer, die anderen zwei folgen seinem Blick und schauen Richtung Späti. Es läuft laute italienische Musik. „Rotkäppchen!“, schreit er noch mal.

Beim Container-Späti auf dem Kindl-Brauerei-Gelände treffen Bauarbeiter*innen, Künst­le­r*in­nen und Entrepreneurs der nagelneuen Hubs, Passanten auf dem Weg zu Rewe und Stammgäste wie diese drei Männer aufeinander. Oft sitzen die drei schon am Mittag auf einer der Holzbänke und trinken Bier. Sie begrüßen alle und führen lange Diskussionen. Der, der nach Rotkäppchen ruft, sieht älter als die anderen und redet mehr. Heute geht es um einen Freund, den er lange nicht gesehen hat – und um Rotkäppchen.

Die Späti-Verkäuferin erscheint auf einmal wie eine Schauspielerin, die auf diesen Moment gewartet hat. Sie glättet ihren karierten Rock und fragt: „Madonna! Was ist denn los?“ Mit zusammengelegten Fingerkuppen zeigt sie zum Himmel. Die Männer lachen. „Sei doch nicht böse, Rotkäppchen, trink einen mit uns“, sagt der Älteste. „Ich kann nicht, ich habe zu tun“, sagt sie und verschwindet. Er zuckt mit den Schultern und öffnet eine neue Flasche.

Einige Minuten später kommt sie doch zu den Männern, aber mit einem jungen Mann, der ein Fahrrad schiebt. „Ein Freund von mir“, stellt sie ihn der Runde vor. „Hallo, willkommen“, sagen die Männer nach ein paar Sekunden der Irritation. Beide gesellen sich zu ihnen und stoßen an. Als der Älteste entdeckt, dass er und der Radfahrer im gleichen Kiez wohnen, scheint er sich zu freuen. „Nachbar, Nachbar!“, sagt er, was prompt jemand als „Nacktbar“ missversteht.

Alle lachen, bis auf die Späti-Verkäuferin. Sie verdreht die Augen, seufzt und bringt ihr rotes Tuch auf dem Kopf in Ordnung.

Luciana Ferrando

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