berliner szenen: Fantasien über Alma
Die Frau im Easter-Yoga-Retreat, die Freunde verreist, das Landhäuschen meines Buddys belegt, alle Bekannten en famille. Und ich über Ostern allein daheim. Obwohl mir Osterhasen schnuppe sind, kommt vorauseilend ein ungutes Gefühl auf. Alle Jahre wieder befeuern die religiösen Feiertage Einsamkeitsgefühle.
In meinem Mietshaus leben viele Solisten. Im Fahrstuhl blicke ich in so manch traurige Augen. In Berlin ist jeder zweite Haushalt Singlehaushalt. Die Engländer und Japaner tun was dagegen, unseren Politikern liegt Namens-Meshing mehr am Herzen. Das Internetportal nebenan.de tut praktisch etwas gegen Einsamkeit. Ich schaue mal rein. Siehe da, eine Nachbarin namens Malou annonciert: „Schildkrötensitting: Mein Partner und ich haben eine kleine Schildkröte. Wir wollen über Ostern meine Eltern besuchen und haben keine Möglichkeit für eine Unterkunft für sie. Hätte vielleicht jemand Zeit und Lust, sich um Alma zu kümmern? Täglich einmal füttern und Wasser auffüllen.“ Das Foto zeigt die Schildkrötenhalter: Paar Ende Dreißig, er im weißen Businesshemd, sie im adretten Kleid in schicker Kreuzberger Wohnung – mit einer Schildkröte.
Übrigens leben im Landwehrkanal vor meiner Haustür vereinzelt Rotwangen-Schmuckschildkröten. Also male ich mir aus, wie ich mit Alma Ostern verbringe: Ich könnte mir ihr zum Ostermarsch. Bachs Osteroratorium lasse ich aus, Kröten hören kaum. Da Schildkröten gut sehen, könnte ich ihr eine Ostermesse zeigen, in der Kirche, aus der ich austrat. Oder wir gehen zum Osterfeuer, Kaltblüter lieben’s warm. Nein, lieber aufs Tempelhofer Feld, da kann sie in viele schöne Gesichter schauen. Und wenn ihr ein Skater über den Panzer rollt, koche ich kein pikantes Turtle-Süppchen, denn das ist ja verboten.
Guido Schirmeyer
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