berliner szenen: Ein besonderer letzter Tag
An einem nassen Donnerstag habe ich meine letzte Schicht in der Buchhandlung. Es fühlt sich so an, als wäre meine erste Schicht vor 10 Jahren gestern gewesen. Manchmal kommt sie mir dagegen wie aus einem anderen Leben vor. Ich weiß, dass ich sogar das Schimpfen mit den Autofahrer*innen vermissen werde, beim Hochradeln der Choriner Straße.
Doch ich habe mir vorgenommen, nicht zu traurig zu werden: Der Nachmittag im Laden soll wie jeder andere sein. Und es ist tatsächlich so viel los, dass ich kaum Zeit habe, um nostalgisch zu werden. Und schon gar nicht, um mir meine Lieblingsbilderbücher noch einmal anzuschauen oder zu entscheiden, welche davon ich mitnehmen möchte.
Kinder toben sich aus, Bücher landen auf dem Boden, Paketboten hinterlassen riesigen Kartons für Nachbar*innen, auf der Theke warten Bücherstapel, die als Geschenk eingepackt werden müssen, alle wollen gleichzeitig bezahlen, die Kasse hängt, sie ist tot. Also ein ganz normaler Vormittag kurz vor Weihnachten.
Dann ist allerdings plötzlich eine Stammkundin für eine letzte Umarmung da und auch eine Frau, die ich noch nie gesehen habe. Sie guckt sich nicht um, sondern fragt mich, ob ich ich bin. „Ich lese immer Ihre Szenen und wenn ich Ihren Namen sehe, weiß ich, dass sie schön sein wird“, sagt sie. „Ich wollte es Ihnen sagen.“ Ich bin so berührt, dass ich erst mal nicht reagieren kann. Ich nehme die Hand ans Herz und bedanke mich mehrmals. Dabei versuche ich mich um die ungeduldige Schlange zu kümmern. Als meine Leserin mir noch schöne Festtage gewünscht hat und gegangen ist, fallen mir viele Fragen ein und ich bereue, so wenig mit ihr gesprochen zu haben. Vielleicht erfährt sie trotzdem, dass, auch dank ihr, mein letzter Tag in der Buchhandlung so besonders war. Luciana Ferrando
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