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berliner szenenSo müssen die Haare liegen

Es regnet und auf dem S-Bahnhof wartet mit mir eine Traube von etwa 30 Schü­le­r*in­nen unter dem Dach. Alle sind vom Regen nass und durchweicht, aber gut drauf. Sie öffnen und schließen ihre Regenschirme, spritzen sich dabei nass, fangen den Regen in einer Plastiktüte auf und gießen das Wasser einem besonders hübschen Mädchen mit schwarzen glänzenden Locken in den Nacken. Das Mädchen quiekt und verteilt Arschtritte. Ein großer Junge mit Brille bekommt gleich drei und ich glaube, die zwei mögen sich. Wie ich den Gesprächen entnehmen kann, haben sie morgen nur noch drei Stunden und dann sind Herbstferien.

„Was machst’n?“, fragt ein Junge in einer Gruppe von etwa wohl Neuntklässlern einen anderen. „Ich werd den ganzen Tag zocken“, antwortet der und fährt sich dabei immer durch die Haare. Er hat dunkle kurze Locken, aus denen der Regen tropft.„Warte mal“, sagt ein großer cooler Typ mit einem Ansatz von Bart, stellt sich vor den Zockerjungen und fährt ihm wiederholt durch die nassen Haare, um ihm die Frisur zu richten. Die Locken sind widerspenstig, sie fallen immer wieder vor in sein Gesicht, aber der große Junge streicht ihm unermüdlich, geduldig und sanft die Haare nach hinten. „So müssen die liegen“, sagt er. Der andere hält still.

Ein anderer meint: „Aber bei dir ey, Moussa“, fasst ihm in die Frisur, legt eine Strähne auf die andere Seite. Jetzt fangen noch mehr Jungen an, gegenseitig ihre Frisuren zu richten. Sie zippeln und zuppeln aneinander herum. Ein kleinerer Junge holt sogar einen Kamm hervor, richtet sich den Scheitel und reicht ihn dann weiter, damit sich auch andere Jungs kämmen können.

Die Mädchen und ich stehen da und gucken zu. Und ich finde, es gibt Hoffnung, wenn sich Jungs in dem Alter so zärtlich gegenseitig die Haare richten. Isobel Markus

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