berliner szenen: Bitte im Auge behalten
Als ich an einem Freitagabend den Späti am Rosenthaler Platz betrete, fragt mich der Besitzer aufgewühlt: „Kannst du Englisch? Wir brauchen hier Hilfe.“
Neben ihm steht eine Frau, die am ganzen Körper zittert und immer wieder sagt: „Man hit.“ Sie deutet auf ihre Arme, ihren Bauch. Der Späti-Besitzer meint: „Sie ist wohl von ihrem Freund geschlagen worden und kann nicht mehr nach Hause, will aber auch nicht die Polizei einschalten.“ Ich überlege einen Moment. Dann gucke ich nach Rufnummern von Frauenhäusern in der Nähe. Im ersten und zweiten meldet sich nur der Anrufbeantworter. Im dritten eine Frau, die erklärt, alle Betten seien belegt. Im vierten geht niemand ran.
Ich wende mich der Frau zu und frage: „Und wenn wir doch die Polizei rufen? Die können sicher einen Platz vermitteln.“ Sie schüttelt heftig den Kopf: „Bei der Polizei war ich bereits. Das war dumm. Ich habe etwas ausgesagt, von dem ich jetzt gar nicht mehr weiß, ob es stimmt.“ Sie reißt die Augen auf und erklärt: „Ich weiß nicht mehr, ob ich überhaupt geschlagen wurde. Weiß nicht mehr, ob ich meiner Wahrnehmung trauen kann. Ich fühle mich so seltsam. Als sei jemand anderes in meinem Kopf. Ich will nur noch schlafen.“ Ich denke kurz nach und rufe dann die psychiatrische Notambulanz der Charité an. Die Frau, die dort das Telefon abnimmt, erklärt: „Wir sind vollkommen überlastet.“ Und fragt dann kühl: „Warum machen Sie die Frau überhaupt zu ihrem Problem? Rufen Sie doch die Feuerwehr.“
Ich folge ihrem Rat. Zu meinem Erstaunen fühlt sich die Feuerwehr tatsächlich verantwortlich: „Klingt nach psychiatrischem Notfall. Bitte Abstand nehmen und die Frau im Auge behalten. Nichts zu trinken geben. Wir sind gleich da und bringen sie in eine Notambulanz.“
Eva-Lena Lörzer
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