berliner szenen: Eine Tapete wie eine Droge
In der Neuen Nationalgalerie ist eigentlich alles beim Alten, denken wir, als L. und ich durch die große Halle gehen und die Treppe nach unten nehmen. Es ist mein erster Besuch seit der Sanierung und ich mag den Bau von Mies van der Rohe. „Einfach schön und zeitlos“, finde ich. Wir überlegen, was sich verändert hat seit der Sanierung. „Irgendetwas an der Decke“, tippt L.
Nach einer Stunde in der Sonderausstellung Sascha Wiederhold brauchen wir einen Kaffee. Wir betreten das Café und bleiben kurz stehen. Eine braunorangefarbene 3D-Tapete mit sich überlagernden Ornamenten, dazu Kronleuchter, die dicht an dicht über den langen Tischen des fensterlosen Raums hängen. Wir holen Kaffee und setzen uns an einen der Tische, unterhalten uns über Sandwiches mit geschmolzenem Käse, als es kracht. Eine Frau am Geschirrwagen lässt ein Tablett fallen und sieht sich um, als würde sie gerade aufwachen. Wir unterhalten uns weiter. Plötzlich stolpert ein Mann, sein Kaffee schwappt aus der Tasse auf den Boden.
L. und ich gucken uns an. „Das ist diese Tapete“, sagt L., „die macht einen ganz kirre.“ Wir sehen die Tapete an und ich habe kurz ein psychedelisches Gefühl.
Kurz darauf kracht es noch einmal. Diesmal hat ein Mann am Geschirrwagen ein Glas heruntergerissen. Als wir aufstehen, sage ich zu L.: „Nimm lieber du das Tablett, ich könnte die Nächste sein.“
L. stellt das Tablett mit unseren Tassen in den Wagen, ohne es dabei herunter zu werfen. Als er sich umdreht, klatscht eine Gruppe in der Nähe des Wagens Beifall. Ich mache eine ausladende Zirkusdirektorengeste auf L. und er verbeugt sich formvollendet.
Als wir weiter in die ständige Ausstellung gehen, sage ich: „Ich weiß jetzt, was sich verändert hat. Dieses Café. Das sah irgendwie anders aus.“ L. nickt: „Hatte auf jeden Fall eine umwerfende Wirkung.“ Isobel Markus
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