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berliner szenenEin rasendes Auto, und es ist aus

Auf der Kantstraße Ecke Leibnizstraße erregt ein Altar meine Aufmerksamkeit: Vor einem geparkten SUV steht ein weißes Standmännchen mit einem auf das Gesicht gemaltem Herz und der Aufschrift „† Fußgängerin, 22 Jahre“. Daneben, vor einem rot gestrichenen Stromkasten, befinden sich vier frische Kränze Rosen und viele Kerzen.

Ich gehe näher ran. Auf dem Stromkasten kleben zwei DIN-A4-Blätter mit persönlichen Nachrufen, einer mit Foto, einer ohne. Es ist nicht das erste Mal, dass ich einen Altar am Straßenrand sehe. In meiner Kindheit ist ein Junge beim Versuch, unsere Straße zu überqueren, unter ein Auto geraten. Daraufhin wurden auf der Straße Betonschwellen angebracht, um Autofahrer daran zu hindern, schnell zu fahren.

Der Altar der verstorbenen 22-Jährigen aber sticht hervor. Zum einen, weil er noch immer gehegt und gepflegt wird, obwohl der Unfall bereits vier Jahre her ist. Zum anderen, weil die Nachrufe und das Foto der jungen Frau, das sie strahlend inmitten einer Gruppe Kinder zeigt, unmittelbar erfahrbar machen, wie schnell es gehen kann, dass ein Mensch aus dem Leben gerissen wird. Ein rasendes Auto, aus.

Weil mich die Nachrufe rühren, welche die Studentin sozialer Arbeit als besonders engagiert und empathisch beschreiben, googele ich noch vor dem Altar „Unfall Leibniz Ecke Kantstraße“ und erfahre, dass die junge Frau ihr Fahrrad abends über den Gehweg schob, als drei Männer, die von Zivilfahndern bei einem Diebstahl erwischt worden waren, sie und ihr noch ungeborenes Kind mit ihrem Fluchtfahrzeug erfassten und töteten. Die Beute – Werkzeug aus einem Kleintransporter – so die Zeitungen der Zeit, soll gerade einmal 300 Euro wert gewesen sein. Der Fahrer wurde ein Jahr später wegen Mordes und illegaler Raserei zu lebenslanger Haft verurteilt. Eva-Lena Lörzer

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