berliner szenen: Frau gesucht, die wenig redet
Es gibt so Tage, da bin ich ziemlich maulfaul. Es ist dann nämlich so, dass es nicht viel zu sagen gibt. Alles scheint irgendwie überflüssig. An diesen Tagen finde ich es ziemlich gut, wenn ich auf Menschen treffe, die gern und viel reden. Dann kann ich zuhören und muss nichts sagen.
Gestern klingelt es an der Tür. Ein Bote mit Pornosonnenbrille hievt wie ein bärtiger Rambo ein riesiges Paket für die Nachbarn vor meine Tür. „Hallo, guten Tag. Kannst du das annehmen?“, fragt er. Mein Gesicht ist klein in seiner verspiegelten Sonnenbrille. Ich nicke eingeschüchtert.
„Okay“, sagt er, „ich leg denen einen Zettel rein.“ Ich nicke wieder stumm. „Dann tschüß, noch einen schönen Tag“, sagt er und geht. Kurz danach klingelt es wieder. „Ich bin es schon wieder“, sagt Rambo, als er die Treppe hochkommt. „Also, das Paket ist gar nicht für euer Haus.“ Ich gucke ihn an. „Verstehst du mich?“ – „Klar“, sage ich und muss lachen. Er auch. „Dachte nur“, sagt er. Er: „Okay, also das Paket gehört in eine andere Straße, aber selbe Hausnummer.“ – „Okay“, sage ich und schiebe das Paket über die Tür.
Er schiebt seine Brille hoch. Darunter sind ganz große herzige braune Augen, und er sagt: „Also nur mal so, ne, das soll jetzt keine Anmache sein oder so, echt nicht, aber ich dachte nur, dass meine Mutter immer meinte: Hassan, du brauchst mal eine Frau, die kaum redet. Wenn einer den ganzen Tag so viel redet wie du, braucht er eine, die zuhören kann. Ansonsten versteht keiner ein einziges Wort.“
Wir lachen. Er lacht so doll, dass er sich die Tränen wegwischen muss. Denke ich. Dann sagt er: „Sorry – ist nur, weil sie grad gestorben ist.“ – „Oh nein“, murmele ich, „mein herzliches Beileid.“ Er schluckt und nickt. Dann nimmt er das Paket und geht wortlos die Treppe herunter. isobel markus
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