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berliner szenenFreundliche erfahrene Frau

Ich stehe auf dem S-Bahnhof Schöneberg und warte auf eine Freundin, die mit der Ringbahn aus Neukölln kommt. Ich laufe also die Treppe hoch zum oberen Bahnsteig und lehne mich dort an eine Infotafel. Ich mag diesen Bahnhof, ich mag die Bilder auf der Glaswand, die kleinen Fische und Krabben in zarten Farben, ich mag das alte Glas, wenn das Sonnenlicht hindurchfällt.

Plötzlich steht eine kleine Frau vor mir. Sie hat eine blaue Jacke an, eine grüne Mütze auf und hält ein großes Handy in der Hand. Dann hebt sie einen Finger und spricht etwas auf ukrainisch hinein. Sie hält mir das Handy hin und die Übersetzungsstimme sagt: „Guten Tag, erfahrene Frau, können Sie mir den Weg nach Chhdkfg nennen?“

Ich muss lächeln. Guten Tag, erfahrene Frau, denke ich und sehe sie hilflos an. Sie lächelt zurück und hält mir ihr Handy hin, deutet an, ich solle hineinsprechen. Ich nicke: „Wohin möchten Sie bitte? Ich konnte das nicht verstehen“, spreche ich in das Handy. Die App übersetzt es ins Ukrainische.

Sie sucht in einer Plastiktüte nach einem Brief. Im Brief steht, dass sie sich zur Antragstellung für Sozialleistungen im Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100 einfinden möchte. „Ah“, sage ich und hebe jetzt selbst den Finger. Ich gebe das Rathaus Charlottenburg in Maps ein, zeige ihr das Display, erfrage dann die Route von Schöneberg in meiner BVG-App und nicke. Sie hält mir sofort ihr Handy wie ein Mikrofon unter die Nase und ich sage: „Sie nehmen am besten die S-Bahn bis Bahnhof Westend und dann den Bus M45.“

Kurzes Warten. Die App braucht etwas länger beim Übersetzen. Wir lauschen der Stimme, sie nickt, freut sich, sagt noch etwas in das Handy und die Übersetzungsstimme sagt: „Vielen Dank, freundliche erfahrene Frau.“ Sie geht und ich denke, wie gut, dass es Apps für alles gibt. Isobel Markus

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